Heft 
(1907) 16
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Friedrich Wienecke.

und Armenschulen Einzelunterricht gewesen. Jedes Kind trat einzeln vor, sagte oder löste seine Aufgabe und blieb dann sich selbst über­lassen. Jetzt wurde der Massenunterricht im eigentlichen Sinne durch­geführt und zu diesem Zweck den Lehrern in den wöchentlichen Konferenzen Anweisung gegeben.

Im Religionsunterricht nahm der Katechismus die erste Stelle ein. Den Wortlaut prägte man auf der Unterstufe durch Vor- und Nach­sprechen, auf der Oberstufe durch Lesen ein. Viermal im Jahre mußte der Text durchgearbeitet werden. Die Erklärung geschah durch Sprüche aus dem Alten und Neuen Testament. Das Monatslied und der Monats- psalm traten in den Dienst der Erbauung, und die Anwendung erfolgte durch Ermahnung und Gebet. In der großen deutschen Schule ging man weiter. In den drei untersten Klassen mußte die Ordnung des Heils nach G. G. Fuhrmann und in den zwei obersten die Beschreibung der drei Glaubensartikel nach Freylinghausen durchgearbeitet werden. Hier kam auch die biblische Geschichte zu ihrem Recht. Wöchentlich wurden zwei Geschichten nach Frage und Antwort durchgenommen und gelernt und gleichzeitig eine Einleitung in die heilige Schrift und deren Bücher gegeben.

Der Leseunterricht begann mit dem Einprägen der Buchstaben, die auf Täfelchen den Kindern gezeigt und dann zur Vergleichung mit der an der Tafel stehenden Druckschrift in die Hand gegeben wurden. Das Buchstabieren erfolgte nach dem Berliner Abc-Buch, und als Lesebuch dienten die Bibel, Luthers erbauliche Schriften, Arndts Wahres Christen­tum und der Katechismus. Daneben wurden Zeitungen der Verleger der Vossischen Zeitung, Rüdiger, stellte wöchentlich 5060 Exemplare bis 1746 zur Verfügung Akten und Handschriften gelesen. Bemerkt sei, daß Hecker im Privatunterricht Versuche mit der Ventzkyscheu Lautiermethode anstellen ließ, die er im Großen Militärwaisenhause in Potsdam kennen gelernt hatte. Zwei Mohren, die ihm zur Ausbildung übergeben waren, lernten nach ihr in 50 (?) Stunden lesen. Zur allge­meinen Einführung gelangte sie nicht, weil Eltern und Lehrer ihr Wider­willen entgegenbrachten. Nur in einer Parochialschule am Rondel (Wilhelmstraße) wurde sie zum Erstaunen aller mit Erfolg angewandt, und mit Stolz erzählte der Seminarlehrer Werdermann seinen Seminaristen, daß auch er in seinen jüngeren Jahren Kinder nach dieser Methode zum Lesen geführt habe.

Der Schreibunterricht war mit Übungen im Stil und in der Orthographie verbunden. Die Kinder der Oberstufe hatten wöchentlich einen Brief zu liefern und Kanzlei- und Frakturschrift zu üben. In besonderen Briefklassen wurden Rechnungen, Quittungen, Frachtbriefe, Verträge etc. entworfen und als Musterbeispiele in ein Heft einge­tragen.