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19. (9. ordentliche) Versammlung des IX. Vereinsjahres.
19. (9. ordentliche) Versammlung des IX. Vereinsjahres
Mittwoch, den 27. März 1901, abends T\i Uhr im grossen Sitzungssaal des Brandenburgischen Ständehauses, Matthäikirch-Strasse 20 21.
Vorsitzender: Herr Gelieime Regierungsrat E. Friedei.
Von letzterem rühren die Mitteilungen unter 1 bis 9 her.
1. Zum Kapitel der Bauopfer teile ich mit, dass bei dem seitens des hiesigen Magistrats zwecks Gewinnung einer Baustelle für das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster ausgeführten Abbruch des Gebäudes Neue FriedricluStrasse 86, welches dem 18. Jahrhundert angehört zu haben scheint, in dem am Nachbargrundstück No. 87 belegenen Giebel, erstes Stock, in einer zugemauerten ehemaligen Tlüirnische in einem Glase dicht verschlossen und in Weingeist erhalten, ein etwa 4 Monat alter menschlicher Embryo vermauert aufgefunden wurde. Das Gefäss ist ein weisses Hafenglas von 11,5 cm Höhe und 7 cm Durchmesser, mit einer Glasplatte bedeckt und mittels Wachs sehr sorgfältig verkittet. Da es nicht recht denkbar ist, dass dies Präparat auf diese umständliche Weise etwa hat beseitigt werden sollen, so liegt vielmehr die Vermutung nahe, dass es in die Klasse der Bauopfer gehört, über welche in der Brandenburgs mehrfach*) gesprochen worden ist. Ursprünglich hat man wirkliche Menschen oder Tiere, um den Bestand des Gebäudes zu festigen und zu sichern, vermauert; im Laufe der Zeiten sind hierfür abgeblasstere und mildere Formen des Opfers getreten.
Neben dem Bauopfer her gehen die eigentümlichen ebenfalls teils rituellen teils symbolischen Vorgänge, welche beim Verlegen des Grundsteins und beim Richtfest des Hauses üblich waren und zum Teil noch üblich sind. Erlauben Sie mir aus zwei berühmten Schriftstellern ein paar Beläge hier anzuführen:
Goethe in seinem Roman „Die Wahlverwandtschaften“ (um 1809) schildert die symbolischen Vorgänge beim Grundsteinlegen (Cottasche Aug. 1854 Band 15, Seite 75 flg.) sehr anschaulich. Der Geselle sagt: „Diese metallenen zugelöteten Köcher enthalten
schriftliche Nachrichten; auf diese Metallplatten ist allerlei Merkwürdiges eingegraben; in diesen schönen gläsernen Flaschen versenken wir den besten alten Wein mit Bezeichnung seines Geburtsjahres; es fehlt nicht an Münzen verschiedener Art in diesem Jahre geprägt; alles dieses erhielten wir durch die Freigebigkeit unseres Bauherrn. Auch ist hier
*)Ueber Bauopfer vgl, Brandenburgia IV. 252; VIII. 414; IX. 5 und 358.