19. (9. ordentliche) Versammlung des IX. Vereinsjahres.
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eines kraftvollen Entwickelungsganges in lebendiger Verkörperung durch hervorragende Persönlichkeiten: Friedrich von Hohenzollern, der Grosse Kurfürst, Friedrich der Grosse erscheinen zum ersten Male (!) innerhalb der preussischen Malerei als charaktervolle Typen und in einer Umgebung, für welche ebensoglücklich der historische Charakter getroffen war.“ Das ist sehr schön gesagt, aber wir werden erfahren, dass die verdienstvollen Menzeischen Denkwürdigkeiten aus der Branden- burgisclien Geschichte damals durchaus keine besondere Neuheit repräsentierten. Seit den Tagen Chodowieckis, seit der ersten akademischen Kunstausstellung in Berlin 1786, führen die alten Ausstellungs-Kataloge fast ohne Unterbrechung solche vaterländischen „Denkwürdigkeiten“ einzeln oder in ganzen Folgen auf. Der junge Menzel ist also nur auf einer lange vor ihm bereiteten Bahn fortgeschritten, freilich dank seines sieghaften Talents erfolgreicher als die andern. Wenn indes gemeint wird, dass jene Erstlingsarbeiten des jungen Künstlers z. Zt. nicht das geringste Verständnis fanden, so kann dies weit eher für die damaligen Haupt Strömungen der Malerei, die ausserhalb Berlins blühten, gefolgert werden. Anderwärts war das Publikum damals mehr als bei uns daran gewöhnt, das Geschichtliche — sei es durch Idealisierung der Form, sei es durch gedankliche Vertiefung des Stoffes, durch Steigerung des Ausdrucks, selbst schon durch erhöhten Farbenreiz — in einem gleichsam interessanten Lichte zu erblicken, und ausserdem schwärmte die Klassik für die Antike, die Romantik für das Mittelalter- Jene ältere Generation lebte völlig im Banne ästhetischer Anschauungen und sie mag es von ihrem Standpunkt aus vielleicht als eine Dekadenz betrachtet haben, dass man in Berlin an Stelle ihres Schönheitsverlangens die nüchterne Beobachtung setzte und sich für patriotische Stoffe, für die jüngeren und jüngsten Geschichtsepochen begeistern konnte.
Den frischen Eindruck des Jüngsterlebten, die Zeitgeschichte zu malen, halten manche wohl auch heute für künstlerisch erfolglos. Man müsse die Dinge von weitem überschauen können, meinen sie. Wer soll dann aber das Gewand, den Charakter, die genaueste Wahrheit einer Epoche für die Zukunft festlegen — wenn nicht der lebende Zeuge dieser Epoche? In einer kürzlich am Kaisersgeburtstage gehaltenen Festrede in der Akademie der Künste sagte Herr von Tschudi, Direktor unserer Nationalgalerie: „Hundert Jahre mussten vergehen
bis die Friderizianische Zeit ihre künstlerische Wiedergeburt erlebte. Keiner der zeitgenössischen Maler wäre (!) imstande gewesen, das Bild des grossen Königs und seiner Generale mit der zwingenden Wahrheit des innerlich Geschauten vor uns hinzustellen, wie es dem Meister des 19. Jahrhunderts glückte.“ Da jener Redner den Ausdruck „wäre imstande gewesen“ gebraucht, so scheint auch ihm nichts von