Heft 
(1902) 10
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19. (9. ordentliche) Versammlung des IX. Vereinsjahres.

einem Versuch der zeitgenössischen Maler und der folgenden Generation in gedachter Richtung bekannt zu sein. Aber hat er denn mit der Thatsache, die er anführt, wirklich recht, ich meine generell betrachtet recht? Müsse denn unbedingt jede gleichzeitige oder schnell folgende Schilderung grosser Ereignisse zu einem Fiasko führen?Man habe, so behauptete der Festredner der Akademie,die künstlerische Ge­staltung eines unkünstlerischen Stoffes gefordert, als man die lebenden Maler die Kriege von 1864, 1866, 1870 und 1871 verbildlichen liess. Ich kenne überhaupt keinen künstlerischen Stoff an sich! Un­künstlerisch kann er wohl durch die mangelnde Fähigkeit des Malers werden. Aber echte schöpferische Kraft vermag jeden Stoff zu meistern und künstlerisch zu gestalten.

Und das hätte ein Menzel, wäre er 50 Jahre früher an die Arbeit seiner friederizianischen Darstellungen gegangen, auch sicherlich gekonnt, früher oder später. Später hatte er bekanntlich erst, gleich einem Ge­lehrten, alle erhaltenen Dokumente des verflossenen Zeitalters in ihren Verstecken aufstöbern müssen. Ein erheblicher Teil seiner Vorarbeit wäre ihm erspart geblieben, ohne dass ihm dadurch die künstlerische Lösung seiner Aufgabe unmöglich gemacht worden wäre. Es wäre auch wohl seltsam, wenn grosse Ereignisse immer nur auf -geringwertige künstlerische Zeugen gestossen sein sollten. Hat nicht z. B. ein Alfred Rethei den Eindruck der Revolution von 1848 in seinem be­rühmten Totentanz unmittelbar festgelegt; hat nicht der grosse Rem- brandt in seiner sog. Nachtwache eine Amsterdamer Schützen­abteilung in Bewegung und der Spanier Velasquez ein anderes Zeit­ereignis, die Uebergabe von Breda, gemalt Darstellungen, die nicht nurHistorien, sondern vor allem echte Kunstwerke sind?

Zugleich lehren die zuletzt erwähnten Beispiele, dass die moderne Historienmalerei nicht so neuen Datums ist, wie vielö glauben. In Italien wurden bereits im 16. und im 17. Jahrhundert Schlachten- scenen und Belagerungen von Vasari und Salvator Rosa, in Frankreich im 17. Jahrhundert von van Loo, Lebrun, van der Meulen, in den Niederlanden damals von Pieter Snayers u. a. gemalt. Es gab also schon zur Zeit der Renaissance nicht wenige Historien- und Kriegs­maler, die man zu den deutschen Kriegsmalern der eben verflossenen Epoche in Parallele setzen kann.

Um so auffälliger, dass das 18. Jahrhundert in dieser künstlerischen Richtung sich so unbedeutend betliätigt hat. Friedrich II. und seine Kriegserfolge wären freilich dazu angethan gewesen, die schaffenden Kunstkräfte zu entflammen. Aber andererseits war es bekanntlich grade dieser so weitsichtige grosse Fürst, der, weil er das geringste Mass von Achtung für deutsche Kunst empfand, die heimischen Talente lähmte. Seine französisch verfasste AbhandlungDe la Litterature Allemande

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