Heft 
(1902) 10
Seite
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6. ( 4 . ausserordentliche) Versammlung des X. Vereinsjahres. 123

dichte Bucheuwände die Eisenbahnstrecke. Der Wechsel in der Farbe des jungen Laubes giebt der Landschaft etwas ungemein Anmutiges..

Um 10 Uhr 17 Min. trafen wir in Neu-Strelitz ein und wurden hier auf dem Bahnhof von Herrn Gymnasialdirektor Betzstein, Herrn Staatsarchivar und Museumsdirektor von Buchwald und einigen anderen Herren empfangen. Wir wanderten nun durch die Stadt zur Pension Stübinger, wo das Frühstück schon vorbereitet war. Unterwegs hatten wir noch Gelegenheit vor einem Hause vier hohe Monolithsäulen nebst Pfeilern und Gesimsen zu bewundern, welche aus einheimischen Findlingen hergestellt waren und wahrscheinlich aus Granit bestehen. An das Frühstück schloss sich die Besichtigung des Museums mit seinen Schätzen. Den Anfang machten wir mit der Bibliothek, wo Herr von Buchwald die Anordnung und Aufstellung der Bücherschätze erläuterte und einen Plan der Stadt Neu-Strelitz erklärte. Die Stadt wurde 1731 vom Herzog Adolf Friedrich III. gegründet und die Strassen strahlenförmig angelegt. Das Museum für Altertumskunde beherbergt eine Anzahl bemerkenswerter Stücke. Am bekanntesten sind die sog. Prittwitzer Idole; es sind das eine Anzahl gefälschter wendischer Götzen aus Bronze. Alsdann wurden uns sehr schöne dünne Schalen aus Bronze­guss mit nachträglicher Bearbeitung behufs Verzierung gezeigt. Auch Steinwerkzeuge mit Ornamentierung sind vorhanden. Unter den Thon- gefässen fallen einige Kinderspielzeuge auf, u. a. ein bärenartiges Tier mit einer Urne auf dem Rücken, die aber erst nachträglich aufgeklebt ist. Auch die Silber- und Porzellankammer ist sehr reichhaltig. Auf dem Wege zum Schlosspark statten wir noch der Schlosskirche einen Besuch ab, die in ihrem Innern durch ihre Einfachheit einen sehr feier­lichen Eindruck macht. Der Schlosspark bietet eine Menge Abwechslung mit seinem Buschwerk, seinen Rasenplätzen, Steigen, Wegen und Durch­blicken. Er stösst an den Zierkersee, und hier stehen eine Anzahl Schwarzpappeln, welche dicht mit Mistelbüschen bewachsen sind. Im Schlossgarten steht ein Mausoleum der hochseligen Königin Luise.Es beherbergt ein Marmorbild, das die Königin schlafend darstellt. Es ist aber nicht, wie oft angenommen wird, eine Nachbildung des ähnlichen Marmorbildnisses Höchstderselben im Charlottenburger Mausoleum, sondern einer zweiten liegenden Statue des Professors Rauch nach­gebildet, und zwar von Professor Albert Wolff, einem Mecklenburger, den jener häufig für seinen talentvollsten Schüler erklärte. Professor Rauch, in künstlerischer Beziehung nicht ganz von seinem Werk für Chai'lotten- burg befriedigt, fertigte dieselbe in aller Stille in Rom auf die genialste Weise an, und König Friedrich Wilhelm III., in der Meinung, sie stelle mehr die durch ihre Schönheit und Anmut hervorragende Frau, als die zu früh dahingeschiedene Königin dar, kaufte sie allerdings an, verbannte sie aber in ein fast unbekanntes kleines Museum von römischen

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