Heft 
(1902) 10
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9. (7. ausserordentliche) Versammlung deB X. Vereinsjahres.

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mit einigen Bäumen, einer Kaserne und mehreren andern Gebäuden. Wir hatten Gelegenheit einen Blick in die Kasematten zu werfen und durften ein kurzes Stück auf den Wällen spazieren, wobei wir uns der herrlichen Aussicht auf die obere Havel mit dem Eiswerder erfreuten. Die Namen der vier Bastionen heissen: König, Königin, Kronprinz und Brandenburg. Der Rückweg führte uns natürlich wieder zum Ausgang zurück. Kurz vor ihm erhebt sich in einer Ecke der älteste und merk­würdigste Teil der Citadelle, der Juliusturm. Es ist ein cylindrischer hoher Turm nach Art der märkischen Bergfriede, ohne Thür und Fenster. Wir konnten ihn deshalb auch nur von aussen bewundern. Im Innern beherbergt er den Reichskriegsschatz von 120 Millionen Mark. Da keine Thür zu diesem Schatz führt, so müssen die Mitglieder der Reichsschuldenkommission, welche alljährlich den Schatz revidieren, durch die Mauer eine Öffnung schlagen lassen, welche nach dem Besuch wieder sorgfältig vermauert und übertüncht wird.

Nun wunderten wir in die Stadt zurück und besuchten die Nicolaikirche in der Potsdainerstrasse. Hier gab Herr Oberpfarrer Recke die wichtigsten geschichtlichen Daten sowie die nötigen Erläuterungen über die Kunstschätze und Altertümer, welche die Kirche beherbergt. Das Gotteshaus ist im gotischen Stil erbaut, sein Gewölbe ruht auf 12 hohen Säulen. Man betritt das Innere durch den Turm, der an seiner Höhe allmählich etwas eingebüsst hat. Über dem Eingang zum Kirchenschiff' ist die Orgel aufgestellt. Es ist das schon die dritte, welche vor 20 Jahren für 30 ODO Mark erworben wurde. An den Längsseiten ziehen sich Emporen hin. Auf der einen Langseite steht die Kanzel mit den Bildnissen und Symbolen der vier Evangelisten. Au den Wänden unter den Emporen hängen die Bildnisse der Inspektoren und Pfarrer, die an der Kirche tliätig gewesen sind. Hinter dem Altar z. B. findet sich das Bild des Pastors Scliultze, welcher eine handschriftliche Chronik der Stadt Spandau von 1071 Folio­seiten geschrieben hat. Die Chronik ist schon vielfach benutzt worden, z. B. von Kuntzemüller zu seiner Geschichte der Stadt und Festung Spandau. Ausserdem hat sie die wichtigsten Daten geliefert zu der Lebensbeschreibung des Botanikers Kurt Sprengel. Die Chronik geht bis 1805. Das Buch war auf dem Altar zur Einsichtnahme nieder­gelegt. Das herrlichste Stück der Kirche ist der Altar in den Formen der italienischen Spätrenaissance, gestiftet im Jahre 1582 vom Grafen Rochus Guerini zu Lynar. In diesem Werk hat sich dieser nach­geborene Sohn der italienischen Renaissance, der nach mannigfachen Wanderfahrten in der Mark Brandenburg eine Heimat gefunden hatte, selber ein Denkmal errichtet. Der Altar, aus bemaltem Stein und Stuck erbaut, zeigt in der Mitte das Heilige Abendmahl und zu beiden Seiten die Gräflich Lynarscbe Familie, links den Grafen mit den