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B. Seiffert:
beanspruche und ausübe. Vergebens versicherte der Rat in wiederholten Bittgesuchen, es sei das seit unvordenklichen Zeiten so und nicht anders gewesen; vei’gebens liess er aber auch nach einem geschriebenen Dokumente in seinen Aktenstücken suchen; nur die Rechnungsbücher waren als Zeugen aufzufinden, und die bewiesen gerade, was der Rat nicht tliun sollte: es half kein Bitten, keine Vorstellung, es blieb bei dem Entscheide: „Keinen Kalk mehr an
Fremde verkaufen“. Auf diesen Punkt aber kam es gerade dem Rat an, von dem Verkauf innerhalb der Stadt war kein erheblicher Gewinn zu erhoffen; somit verlor der Rat allmählich das Interesse für dies „bonum curiae“ und tliat das bisherige Lieblingskind in fremde Pflege aus, in welcher es denn nach 100 jährigem Siechtum sein Dasein endete. —
Auf den ersten Blick erscheint das Vorgehen des grossen Kurfürsten gegen eine Stadt, von der er wusste, dass sie durch den Krieg in unsägliches Elend gestürzt war, aus welchem sie sich aus eigner Kraft nie emporhelfen konnte, in der Tliat hart und unbarmherzig; wollte er das „gäntzlich eingefallene Stadtregiment“ wieder ordentlich einrichten, so war doch eigentlich gerade in dem weiteren, womöglich gesteigerten Betrieb des lukrativen Kalkofens eine so einfache und so wesentliche Beihilfe für den Stadtsäckel dargeboten. Auf dy andern Seite sind dem damaligen Rat von Strausberg schwere Vorwürfe gemacht worden, dass er seine „vielhundertjährige Kalkgerechtigkeit“ mit zu wenig Festigkeit und Energie verteidigt und dadurch die Stadt sozusagen um ein bedeutendes Vermögen gebracht habe, welches die heutige Generation in ihrer „ausgepauvreten“ Finanzlage recht gut gebrauchen könnte. Diese zu einem allerdings übertriebenen Lokalpatriotismus ganz passende Ansicht von der Sachlage — denn Perlitz berührt die Rechtsfrage nur sehr kurz — ist erst in neuerer Zeit verbreitet worden; eine genauere Beschäftigung mit dem einschlägigen Aktenmaterial führt aber bald zu der Einsicht, dass die Entziehung der „vermeintlichen Kalkgerechtigkeit“ doch nicht so ohne weiteres als eine Vergewaltigung der städtischen Freiheiten anzusehen ist. Es soll daher im Folgenden zuerst auf Grund des alten Stadtbuches 1580 ff. sowie einiger noch erhaltener Auszüge aus älteren Rechnungsbüchern der Betrieb des Ziegel- und Kalkofens bis zum Ende des 16. Jahrhunderts geschildert, darauf nachgewnesen werden, ob und welche Geschäfte der Rat damit gemacht hat und warum ihm darin bis zum 80 jährigen Kriege kein Eintrag noch Hindernis geschehen ist, und dann endlich die Veranlassung und der Verlauf des Streits um die Kalkgerechtigkeit von 1646 bis 1661 ausführlich entwickelt werden. —