Karl Möllenhoff:
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Alten unter dein Neueren und Allerneuesten noch zu erkennen vermag.
Nur wer den ganzen Entwickelungsgang, den unsere Stadt in dieser Zeit genommen hat, im einzelnen hat verfolgen können, würde ein richtiges und vollständiges Bild vom alten Berlin gehen können.
Es wäre dieses eine recht schwierige, nur für wenige Auserwählte erfüllbare Aufgabe.
Ein leichteres Ziel stecke ich mir; ich möchte versuchen über die Entwickelung unserer Stadt in (len letzten vierzig Jahren einiges nach meinen Beobachtungen und Erinnerungen zusammenzustellen und dabei besonders die Veränderungen hervorheben, welche Berlin in der Nähe der alten Stadtgrenze, der Stadtmauer, erfahren hat.
Meine Erinnerungen an das alte Berlin beginnen mit dem
Herbste 1858, der Zeit als unser späterer Kaiser Wilhelm I. die Regentschaft übernahm. Ich kam damals im Alter von neun Jahren aus Kiel, einer Stadt von HiUOü Einwohnern nach Berlin, einer Stadt von 459 000 Einwohnern. Da gab es für mich ungemein viel Neues
und Wunderbares zu sehen und es ist natürlich, dass sich alles Gesehene
dem lebhaften jugendlichen Gemüte dauernd einprägte, und dass die damals aufgeuommenen Bilder noch heute unverwischt im Gedächtnisse fortleben.
Ich möchte daher das Berlin von 1858 Ihnen vorführen und zwar dadurch, dass ich einen Rundgang um die damalige Stadt beschreibe.
Ich beginne die Wanderung an der Potsdamer Brücke. Von dem Hause aus, in dem wir von 1858 ab 18 Jahre lang wohnten,
Schellingstrasse 7, hatte man in der ersten Zeit eine recht freie Aussicht. Aus dem nach Südwesten gerichteten Fenster der Berliner Stube sali man auf die nahe gelegene Potsdamer Brücke, über die weiten Schöneberger Wiesen und bis zum fernen Grunewald hin. Aus den ostwärts gerichteten Fenstern der Vorderstuben konnte mau über das unbebaute Terrain der Tempelhofer Vorstadt bis zum Kreuzberg sehen.
Es war also der Bewohner der Potsdamer Vorstadt noch nicht von Häusermassen eingeengt; man lebte in diesem Stadtteil in vielen Beziehungen noch frei, wie auf dem Lande.
Auf dem, vom Anhalter Bahnhof nach Südost gelegenen, grossen freien Fehle konnten die Jungen nach Belieben Drachen steigen lassen und andere Spiele veranstalten. Die weiten, mit einzelnen Weiden und Pappeln bestandenen, vielfach sumpfigen und von Gräben durchzogenen Schöneberger Wiesen boten für zoologische und botanische Fixkursionen eine reiche Ausbeute. Eidechsen und Blindschleichen gab es an den trockenen Stellen, z. B. hinter der Albrechtshofer Brücke, nahe am