Heft 
(1902) 10
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1 . (9. ausserordentliche) Versammlung des X. Vereinsjahres.

Wer so sprach, übersah in kurzsichtiger Weise, dass mit der Kenntnis dieser Organismen uns eine mächtige Waffe in die Hand ge­geben war. Wir hatten nur nötig, diese kleinen Wesen als unsere Feinde anzusehen und mit ihnen zu verfahren, wie man es mit einem politischen Feinde macht, d. h., Abwehrmassregeln treffen, und, wenn das nicht hilft, den Krieg erklären.

R. Koch, der damals Professor der Hygiene an hiesiger Uni­versität war, wandte sich, dieser Stellung gemäss, den hygienischen Abwehrmassregeln gegen unsere mikroskopisch kleinen Feinde zu und trat damit in die zweite Epoche seiner ausserordentlich schöpferischen Thätigkeit ein, unterstützt von einer Schaar arbeitsfroher und opfer­williger Schüler.

Jetzt galt es, die Lebensweise der krank machenden Organismen innerhalb und besonders auch ausserhalb des menschlichen oder tierischen Körpers kennen zu lernen, und zu ermitteln, wie sie in den Körper gelangen. Das musste für jede einzelne Krankheit besonders festgestellt werden. Die wichtigste Krankheit, der man sich zuwandte, war die Tuberkulose, und man erkannte bald, dass sie eine echte Schmutz­krankheit ist, indem der Tuberkelbazillus von den Kindern auf dem Fussboden der Wohnungen und der Strassen aufgelesen, von den Er­wachsenen hauptsächlich im Staube der Strassen wie enger Wohnräume eingeatmet wird. Verbreitet aber wird er durch den Auswurf hustender Schwindsüchtiger.

Für einige andere Krankheiten, die häufig als Seuchen auftreten, wurde festgestellt, dass sie sich gewöhnlich durch das Wasser ver­breiten. Dahin gehören zwei der mörderischsten Krankheiten, die Cholera und der Typhus.

Ich kann die Sache hier nicht weiter verfolgen, doch werden Sie leicht verstehen, dass die so gewonnenen Kenntnisse den sich hieran anschliessenden Arbeiten über Schutzmassregelu eine ganz bestimmte Richtung gaben, und dass die Filtration des Wassers und die Des­infektion ganz besonders in Frage kamen. Die Desinfektion bezweckt die Zerstörung der Keime an solchem Material, welches noch weiter gebraucht werden soll, z. B. an der Wäsche, an den Wänden und Fuss- böden der Wohnräume, aber auch an den Instrumenten und dem Ver­bandmaterial, und sogar au den Händen des Chirurgen und auf der Haut des Kranken, an dem eine Operation vorgenommeu werden soll.

Die Arbeiten über Wasserfiltration ergaben, dass ein grosses Wasserwerk mit Filter betrieb ein keimfreies Wasser zu liefern nicht im Stande ist, dass es aber für das praktische Bedürfnis genügt, wenn der Keimgehalt in einem Kubikeentimeter Wasser von einigen Hunderttausend auf einige Hundert Keime herabgedrückt wird. Mit unseren beschränkten llülfsmittelu können wir es der Natur nicht gleich thun, welche das