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12. (9. ausserordentliche) Versammlung des X. Vereinsjahres.
geben würde, die zu suchen die nächste Aufgabe sein musste. Das ging aber weit über den Rahmen eines hygienischen Institutes hinaus, und in richtiger Würdigung der Sachlage entschloss sich ein hohes Kultus-Ministerium, ein neues, eigenartiges Institut zu gründen, dessen Arbeiten auf das grosse Ziel, die Heilung und Unterdrückung der Infektionskrankheiten, gerichtet sein sollten. So entstand das Institut für Infektionskrankheiten, dem selbstverständlich eine Krankenabteilung beigegeben werden musste, weil die Beschäftigung mit Krankheiten, so wie sie geplant war, ohne Kranke nicht denkbar ist.
Als Krankenhaus konnte nur die Charitö in Frage kommen, auf deren Grund und Boden das bekannte Barakenlazaret errichtet wurde. Zur Unterbringung der sogenannten wissenschaftlichen Abteilung wurden die in der Unterbaumstrasse gelegenen Häuser angekauft, welche den älteren Berlinern unter dem Namen des Triangels bekannt waren. Das war nur eine provisorische Einrichtung, aber es gingen doch aus diesen unscheinbaren Räumen epochemachende Entdeckungen hervor. Hier begründete Behring seine Blutserumtherapie, welche auf gänzlich neuen Grundsätzen beruhte.
Sie wissen alle, welcher Segen der Welt daraus erwachsen ist, so dass wir jetzt den Würgeengel unserer Kinder, die Diphtherie, nicht mehr zu fürchten haben, wenn nur rechtzeitig die Krankheit erkannt und das Heilmittel gegeben wird.
Vielleicht ist es zweckmässig zum besseren Verständnis dessen, was ich Ihnen noch sagen möchte, wenn ich mit ein paar Worten auf die Gewinnung des Diphtherie-Heilserums eingehe. Es ist allgemein bekannt, dass gewisse Krankheiten den Menschen nur einmal zu befallen pflegen; das einmalige Ueberstehen der Pocken, des Typhus, der Cholera u. s. w. schützt gewöhnlich gegen eine zweite Erkrankung auf Lebenszeit, oder doch auf sehr lange Zeit, und das ist nach unserer heutigen Auffassung in Folgendem begründet.
Der menschliche und der tierische Körper besitzt chemische Schutzstoffe gegen die Krankheitserreger, also z. B. auch gegen die Diphtheriebazillen. Durch das Ueberstehen der Krankheit erlangt der Körper die Fähigkeit, diese Schutzstoffe dauernd in noch viel grösserer Menge zu erzeugen, so dass die Krankheitserreger, wenn sie ein zweites Mal in den Körper eindringen sollten, von vorn herein unschädlich gemacht werden. Man sagt dann, dass der Mensch immun gegen diese Krankheit ist. Bei Tieren können wir aber eine zweite Erkrankung erzwingen, indem wir ihnen sehr grosse Mengen der Krankheitserreger oder der von ihnen erzeugten Gifte beibringen. Wir spritzen sie ihnen zu diesem Zwecke gewöhnlich unter die Haut. Nach dieser zweiten Erkrankung hat die Menge der im Tierkörper erzeugten Schutzstoffe wieder bedeutend zugenommen. Wenn man diese erzwungenen Erkrankungen mehrmals