Heft 
(1902) 10
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12. (9. ausserordentliche) Versammlung des X. Vereinsjahres. 297

wiederholt, so sammelt sich in dem Blute des Tieres so viel Schutz­stoff an, dass in wenigen Kubikcentimetern Blut eine solche Menge davon vorhanden ist, dass man damit die auf natürlichem Wege ent­standene Krankheit heilen kann; und das Tier, welches dieses heilkräf­tige Blut (Blutserum) liefert, nennen wir hoch immun; wir haben es hoch immunisiert, d. h. gegen sehr grosse Mengen Krankheitsstoff unempfindlich gemacht.

In der Folge stellte sich bald heraus, dass die Heilsera, welche man gegen andere Krankheiten herstellte, in ihrer Leistungsfähigkeit weit hinter dem Diphtherieheilserum zurückblieben. Diesem Übelstande wusste man dadurch abzuhelfen, dass man solche Leute, die einer be­sonderen Ansteckungsgefahr ausgesetzt waren, in derselben Weise gegen diese Krankheit immunisierte, wie man das bei der eben erwähnten Immunisation der Tiere thut. Das ist z. B. das Verfahren, welches man in Südafrika und in Indien gegen Typhus und auch gegen Pest nicht ohne Erfolg eingeschlagen hat.

An der Ausarbeitung der diesen Bestrebungen zu Grunde liegenden Ideen ist das Institut für Infektionskrankheiten in hervorragendem Maasse beteiligt, und für das praktische Bedürfnis sind dabei zwei Verfahren herausgekommen: das Heilen der Kranken mit specifischen, von den Krankheitserregern gewonnenen Heilmitteln, und das Immunisieren der Gesunden gegen befürchtete Ansteckung. Beide Verfahren werden immer auf den einzelnen Menschen angewendet. R. Koch ist aber noch einen Schritt weiter gegangen und hat begonnen, die Seuchen als solche zu bekämpfen. Wie das gemeint ist, wird am besten ein Beispiel lehren.

Als im Jalue 1892 die Cholera über Europa hereingebrochen war und an Deutschlands Grenzen lauerte, wusste man schon, dass uns die grösste Gefahr auf dem Wasserwege drohte, und wirklich gelangte die Seuche durch den Seeverkehr nach Hamburg, wo sie explosionsartig einen schreckenerregenden Umfang annahm. Von Hamburg aus drohte sie stromauf zu gehen, und ebenso war der Rhein von Holland aus, die Oder und die Weichsel von Russland und Mähren aus bedroht, denn in den Nachbarländern herrschte die Cholera, und die Seuche ver­breitet sich eben so wohl stromauf wie abwärts. Das liegt daran, dass kranke Schiffer das Flusswasser verseuchen, und dass dadurch wieder die Uferbevölkerung, welche dieses Wasser benutzt, gefährdet ist. Hat sich aber erst die Krankheit an den Ufern der grossen Flüsse festgesetzt, so wird sie leicht über das ganze Land verbreitet. Zur Abwehr wurden nun auf Kochs Veranlassung an allen gefährdeten Punkten Wachtposten, d. h. bakteriologisch geschulte Hygieniker a ufgestellt, welchen es thatsächlich gelang, den Feind abzufangen, noch bevor er Schaden thun konnte. Es wurde der Schiffsverkehr sorg-