Heft 
(1902) 10
Seite
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Dr. E. v. Freydorf, Neidkopf und Krone zu Berlin.

im Grunde schon damit ein, dass sie das Haus, aus welchem sie den Gesellen treten lässt, selbstredend nicht mit den arabischen Ziffern einer Hausnummer, vielmehr selbst von Anfang an nur durch denNeidkopf auf den sie hin weist, kenntlich macht. Auch Titel und Pointe, also die Schwerpunkte der ganzen Erzählung, deuten auf dies Stück der Hausfassade.

Deutlicher hätten Cosmars glaubwürdige alte Leute sich ausge­drückt, ständen sie uns Rede, ob nicht etwa das fertiggestellte Silber­krönlein seinerseits als mit dem alten Wahrzeichen seines Hauses wie .üblich an bescheidener Stelle beprägt zu denken sei. Die den früheren Hörern der Anekdote geläufige Zunftsitte liess indes solche Beifügung des Hauszeichens oder der Werkstattmarke bei jedem bedeutenderen, insbesondere aber einem zu so hoher Bestimmung gefertigten Stücke, stillschweigend voraussetzen.

Sobald das Zeichen aber selbst nicht mehr verstanden wurde, ist es der Sage überhaupt gleichgültig, ob mit oder in der Krone übergeben oder nicht. Das schlichte Publikum solcher Sagen verträgt weitlänftige Bezugnahmen überhaupt nicht; so wirft die Berliner Sage die Erwäh­nung der sonderbaren Hausmarke ausser in Titel und Pointe, schlechthin ab. Unseres Zeichens dadurch freigewordener, aber immer noch, wie die dem Kurfürsten in den Mund gelegten Worte beweisen, dunkel be­wusster Bedeutungsinhalt ist also vollständig umgegossen in fias Metall eines der geläufigeren Herrschaftssymbole; und so gelangt der, bei Cosmar gänzlich gestaltloseSchatz des Hauses bei Bertram in der Schmiedeform einer Krone neu zur Erscheinung. Dies radikale Selbst­erhaltungsmittel der Sage, in usum ignorantium sich geradehin zu über­setzen, hätte freilich nahezu den Verlust jeglichen Zusammenhangs mit dem älteren Hauszeichen zur Folge gehabt, wäre nicht, wie gesagt, dies Zeichen selbst mit seinen unversehrten Attributen, sichtbar erhalten geblieben.

Auskunftsmittel der Überlieferung wie dieses, das alte Zungen- hieroglyph durch Überschreiben mit einem inhaltsgleichen, neuen Zeiten verständlicheren Symbol, hier derKrone, zuübersetzen, kommen auch anderwärts vor. So ist dem Basler Zungenmann in seiner der­zeitigen, etwa dem XVII. Jahrhundert entstammenden Blechautomaten- gestalt gleichfalls ein Krönlein beigegeben, d. h. hier in Wirklichkeit

aufgesetzt worden,-eine artige und unschädlicheInterlinearversion

in jedem Sinne, und weniger irreführend als das, im übrigen allerdings gleichlautende, Palimpsest der Berliner Sage.

Dass etwa^auch der Berliner Neidkopf eine Krone getragen hätte, ist nicht ausgeschlossen, braucht aber zur Erklärung nicht unbedingt unterstellt zu werden. Erklärung genug ist, dass die Sage zu diesem präsentablern Kopfschmucke griff, um das Geheimnis des Hauses, ent- liegenschaftet, anderer Stelle zu übertragen.