Heft 
(1911) 19
Seite
18
Einzelbild herunterladen

18

18. (5. ordentliche Versammlung des XVIII. Vereinsjahres.

geräumt, nur die imposanten baulichen Formen und Verhältnisse sind nicht verändert worden.

Seit geraumer Zeit ist nun auch die prachtvolle, einstmalig von schönstem Metallton gewissermaßen durchgeistigte Riesenglocke aus dem Kirchengestühl verschwunden. Die Abbildung zeigt uns, daß sie die von der Renaissancezeit her übliche Form der umgekehrten Tulpe hat. Vom ist die Bruchstelle und die Lücke ersichtlich, welche eine Außerdienst­stellung der Glocke geraten erscheinen ließen. Dies imposante Gußwerk aus edelster Metallmischung ist, wie ersichtlich, auf einem besonder» Postament unweit des Kreuzganges so bequem zugänglich aufgestellt, daß man die Größenverhältnisse feststellen kann. Der untere Rand mißt über 9 m Umfang und als ich die Hand unter die Glocke in der Lücke steckte, vermochte ich die Dicke der Wandung nicht zu umspannen. Dabei machte ich die Wahrnehmung, daß, während es draußen recht kühl war, sich im Innern der Glocke eine fast heiße Luft erhalten hatte.

Unsterblich berühmt ist die Glocke allüberall durch die lateinische Inschrift geworden, die ziemlich unscheinbar und nicht leicht zu lesen oben auf der Rückseite angebracht ist: vivos voco, mortuos plango, fulgura frango (die Lebendigen ruf ich, die Toten beklag ich, die Blitze brech ich). Andere große Kirchenglocken haben ähnliche, aber nicht genau übereinstimmende Inschriften, so z. B. die Glocke in dem Turm der bekannten Thomaskirche zu Leipzig: vivos voco, mortuos plango, tonitru quoque frango.

Wie ist unser Schiller auf das vorgedachte Motto für sein Lied von der Glocke gekommen? Frau von Wolzogen erzählt in Schillers Leben: Lange hatte er das Gedicht in sich getragen und mit uns oft davon gesprochen, als von einer Dichtung, von welcher er besondere Wirkung erwarte. Schon bei seinem ersten Aufenthalt in Rudolstadt im Jahre 1788 ging er oft nach einer Glockengießerei vor der Stadt spaziere]), um von diesem Geschäft eine Anschauung zu gewinnen. Die nächte Andeutung über das Gedicht findet sich in einem Briefe von Schiller an Goethe vom 7. Juli 1797:Ich bin jetzt an mein Glockengießerlied gegangen und studiere seit gestern in Kriinitzens Encyklopädie, wo ich sehr viel profitiere. Dieses Gedicht liegt mir sehr am Herzen; es wird mir aber mehrere Wochen kosten, weil ich so vielerlei verschiedene Stimmungen dazu brauche, und eine große Masse zu verarbeiten ist. Erst 1799 wurde das Lied von der Glocke fertig und, wie Schiller gesteht, nur mehr deshalb, weil er für den Musenalmanach zur Jahrhundertswende i. J. 1800 ein größeres Gedicht versprochen hatte.

Johann Georg Krünitz, geh. 1728 in Berlin, kehrte, nachdem er in Göttingen studiert und als Dr. med. in Frankfurt a. 0. promoviert, nach seiner Vaterstadt zurück und lebte hier von 1759 bis zu seinem Tode am 20. Dezember 1796 litterarischen Arbeiten. Sein Hauptwerk ist die höchst