Heft 
(1911) 19
Seite
29
Einzelbild herunterladen

18. '5. ordentliche) Versammlung' des XVIII. Vereinsjahres.

29

Kirche erklärt wurde und für sie eine nie versiegende Einnahmequelle bis auf den heutigen Tag geblieben ist, so ist es unschwer zu erklären, daß alle Versuche, die Feuerbestattung als vernünftigere und bessere Form der Totenbestattung wieder einzuführen, bei der Kirche den lebhaftesten Wider­stand fanden. An solchen Versuchen hat es zu keiner Zeit gefehlt, und hervorragende Geister hat es immer gegeben, die die Vorzüge der Feuer­bestattung zu erkennen vermochten. Preußens größter König hat durch Reskript vom 27. Februar 1741 angeordnet, daß nach seinem Todesein Leichnam auf römische Art verbrannt und in einer Urne zu Rheinsberg beigesetzt werden solle eine Verfügung, die allerdings nicht zur Aus­führung gelangt ist. Aber der Leichnam einer Tante Friedrich des Großen, der Markgräfin Sophie von Bayreuth, in zweiter Ehe mit dem Reichsgrafen Albert v. Hoditz vermählt, ist im Jahre 1752auf römische Art verbrannt worden der erste Fall einer Feuerbestattung in neuerer geschichtlicher Zeit. Vereinzelt werden auch Fälle aus der Zeit der französischen Revo­lution gemeldet, indessen, da nach dem damaligen Stande der Heiztechnik die Verbrennung nur auf einem Scheiterhaufen stattfinden konnte, so war sie viel zu teuer, als daß sie das Erdbegräbnis hätte ersetzen können. Je mehr aber die Aufklärung, die im 18. Jahrhundert eingesetzt hatte, an Ausdehnung gewann, um so öfter ist das Bestreben zu erkennen, die Grauen des Erdgrabes durch die Feuerbestattung zu bannen, die schon in Homers Ilias, in Vergils Äneis, in der Edda, im Beowulf, im Nibelungen­liede als die würdigste Form der Totenbestattung besungen worden war. Als solche wird sie auch von Goethe, Shelley, Lord Byron, Graf Platen und vielen andern Dichtern gepriesen, indessen immer nur gelegentlich, bis Jakob Grimm in einem in der Königlichen Akademie der Wissen­schaften am 27. November 1849 gehaltenen Vortrage die hohen ästhetischen Vorzüge desFlammengrabes hervorhob.

Um diese Zeit war es auch, daß die mächtig emporwachsende Natur­wissenschaft die Ursachen der dem Erdgrab anhaftenden gesundheitlichen Gefahren erkennen ließ, die bis dahin nur in ihren Wirkungen bekannt gewesen waren Wirkungen, die schon ein Jahrhundert früher die Ver­anlassung waren, daß die Friedhöfe vor die Tore der Stadt verlegt wurden und das Begraben der Leichen auf denKirchhöfen d. h. auf dem Gelände, das die Kirche umschloß, aufs strengste untersagt wurde. Der Oberstabsarzt Dr. Trusen in Neisse war der erste Mediziner der Neuzeit, der aus gesundheitlichen Rücksichten die Rückkehr zur Leichenverbrennung des Altertums empfahl, und ihm schlossen sich bald die hervorragendsten Naturforscher Moleschott, Reclam, Karl Voigt, Küchenmeister, Baginsky, Virchow u. v. a. an. Noch aber war die Heiztechnik nicht genügend vor­geschritten, und den Leichnam den offenen Flammen des Holzstoßes oder des Kohlenhaufens auszusetzen, erschien barbarisch, abgesehen davon, daß die hohen Kosten eine allgemeinere Anwendung solchen Verfahrens un-