Heft 
(1911) 19
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18. (5. ordentliche) Versammlung des XVIII. Vereinsjahres.

möglich machten. Aber die Freunde der Feuerbestattung rasteten nicht. Sie schlossen sich zu Vereinen zusammen, nachdem durch die Erfindung der Gasfeuerung die Möglichkeit geboten schien, in einem geschlossenen Raume die Einäscherung eines menschlichen Leichnams zu bewirken. Am 7. Juni 1876 tagte in Dreseen ein Allgemeiner Kongreß für Feuer­bestattung, der folgende, die moderne Feuerbestattung charakterisierenden Bedingungen aufstellte:

1. Die Verbrennung soll eine vollständige sein und keine halbver­kohlten Reste zurücklassen.

2. Die Verbrennung der Leichen soll nur in den direkt hierzu erbauten Apparaten erfolgen.

3. Es dürfen keine übelriechenden Gase entstehen, die Verbrennung muß also geruchlos sein.

4. Die Asche soll weiß, rein und leicht zu sammeln sein.

5. Die Kosten von Apparat und Verbrennung sollen möglichst niedrig sein.

6. Der Apparat muß mehrere Verbrennungen rasch hintereinander vollbringen können.

Alle diese Bedingungen erfüllt in vollkommener Weise das Gas­feuerungssystem von Friedr. Siemens, das im wesentlichen allen inzwischen zur Einäscherung von Leichen erbauten Öfen zugrunde liegt. Bei einem Wettbewerb wurde es mit dem ersten Preise ausgezeichnet und hatte auch praktisch sich bereits bewährt, denn am 9. Oktober 1874 war in einem provisorischen, in der Glasfabrik von Siemens in Dresden erbauten Ofen der Leichnam der Lady Dilke, der Gattin des Staatssekretärs von England, eingeäschert worden. Dies also war die erste Feuerbestattung im modernen Sinne. Die erste lediglich zum Zweck der Feuerbestattung erbaute An­stalt wofür rasch das internationale Wort Krematorium sich ein- btirgerte wurde am 22. Januar 1876 in Mailand mit der Einäscherung des Ingenieurs Karl Keller aus Zürich eröffnet. 1878 folgte dank der hochherzigen Entschließung des Herzogs Ernst von Coburg-Gotha, damals wohl des einzigen deutschen Fürsten, der freisinnigen Anschauungen zu­gänglich war, das erste Krematorium in Deutschland in Gotha. Erst drei­zehn Jahre später wurde in einem zweiten deutschen Bundesstaat, im Großherzogtum Baden, die Feuerbestattung zugelassen, ein Jahr darauf in der freien Reichsstadt Hamburg. Wiederum trat eine Pause von sechs Jahren ein, bis im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach die Feuer­bestattung für zulässig erklärt wurde. Dann ging es schneller, sodaß gegenwärtig in zwölf deutschen Bundesstauten, nämlich außer den vier schon genannten im Großherzogtum Hessen, in den Königreichen Württem­berg und Sachsen, in den freien Reichsstädten Bremen und Lübeck, in den Herzogtümern Anhalt und Sachsen-Meiningen und endlich im Fürstentum Reuss j. L. die Feuerbestattung gesetzlich anerkannte Form der Toten-