Heft 
(1911) 19
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21. (7. ordentliche) Versammlung des XVIII. Vereinsjahres.

Mit der Aufrichtung des neuen Deutschen Reichs und seinem Milliarden­überfluß begann alsdann der schlimmste Kampf um die alten Bauwerke Berlins, den unsere Hauptstadt überhaupt erlebt hat. Die Liebe zur trauten, alten Heimat, das Verständnis des Wertes einer historischen baulichen Entwicklung schien bei den Behörden wie bei der Bürgerschaft gänzlich abhanden gekommen zu sein. Man könnte ein ansehnliches Buch über das, was in Berlin in dieser Beziehung, namentlich in der sogenannten Gründer­zeit, gesündigt worden ist, schreiben. Nur ein Beispiel sei zu erwähnen vergönnt: die Beseitigung des alten Berlinischen Rathauses und der damit verbundenen Gerichtslaube. Was ist an die Stelle gesetzt worden? Ein in vieler Beziehung unpraktischer, fremdartiger, durchaus undeutscher, kastenartiger Riesenbau, dem man seine Bestimmung als Sitz der bürger­lichen Verwaltung in keiner Weise ansieht. Wenn nun einmal die Be­seitigung der alten Bauten daselbst unerläßlich war, so hätte man wenigstens in den Bauformen etwas Deutsches erfinden und errichten sollen, wie es beispielsweise Wien, München, Kassel, Stuttgart und Stettin getan haben. Einen Beweis für das geringe baukundliche Verständnis, das uns damals beherrschte, ist es, daß der pietätvolle Kaiser Wilhelm I. sich des ältesten bürgerlichen Gerichtshauses Berlins aus dem 13. Jahrhundert erbarmen und es nach Babelsberg verpflanzen mußte, weil die Stadt Berlin weder für die Erhaltung an Ort und Stelle, noch für eine zweckdienliche Verpflanzung an einen anderen Ort irgendwelches Verständnis besaß. Dergleichen wäre allerdings schon fünf Jahre später unter Oberbürgermeister Hobrecht nicht mehr möglich gewesen.

Wie verhält sich nun die Gegenwart, und was soll die Losung im Kampf und gegen den Kampf um die alten Bauwerke Berlins sein?

B. Gegenwart und Zukunft.

Auch das Schlachtfeld der Gegenwart, wenn wir darunter die Erleb­nisse der gegenwärtigen mittleren Generation verstehen, bietet trübe Er­innerungen an verschwundene große öffentliche Gebäude in Menge. Im folgenden nur eine Auswahl: das vornehme Raczinskische Palais mit der berühmten Bildersammlung, das dem Reichstagsgebäude weichen mußte; die Ritterakademie und das Joachimsthalsche Gymnasium zwischen Heiliger Geist- und Burgstraße, hauptsächlich zum Börsenbau verwendet; die alte Post, Königstraße 1, durch geschmacklosen Neubau ersetzt; die alte Münze mit dem Fürstenhaus und dem Friedrich-Wer der sehen Gymnasium, gefallen zur Platzerweiterung; das Kadettenhaus mit imposanter Fassade, gewichen vor den Gerichtsgebäuden; das Köllnische Rathaus, besonders lehrreich, wie Abbrüche und Straßenverbreiterungen nicht gemacht werden sollen. Der Abbruch hat für den Verkehr so gut wie nichts geleistet. War er unvermeidlich, so mußte er mit der Einbeziehung der Scharrenstraße in die Hertzogschen Umbauten Hand in Hand gehen. Statt dessen ist nur ein unbefriedigender Torso geschaffen. Der Block zwischen der Scharrenstraße