Heft 
(1911) 19
Seite
89
Einzelbild herunterladen

21. (7. ordentliche) Versammlung des XVIII. Vereinsjahres.

89

mul Gertraudenstraße sieht so unschön wie möglich ans, der Engpaß der Scharrenstraße ist gebliehen und der imposante Hertzogsche Neubau, der in der Scharrenstraße noch nicht ganz fertig ist, ins Hintertreffen gedrückt, das alles, weil man sich mit der Hertzogschen Vormundschaft über die Differenz von einigen hunderttausend Mark nicht einigen konnte, zum Schaden der Breiten, Brüder-, Scharren- und insbesondere der Gertrauden­straße nicht verständigen konnte.

Ungefähr um diese Zeit verschwand eines der ältesten mittelalter­lichen Gebäude Berlins, der Kalandshof zwischen der Kloster- und Neuen Eriedrichstraße, über dessen tadellos erhaltenes rotes Rohziegelbauwerk ich mich immer gefreut, und noch etwas früher an der Spandauer Straße das alte, nach der Matthäikirchstraße verlegte Brandenburgiscke Ständehaus. Die Beseitigung der Kunstakademie Unter den Linden durch den großen Bibliotheks-Neubau sowie des alten städtischen Waisenhauses und der Waisenkirche an der Stralauer bzw. Neuen Friedrichstraße durch das städtische Gasanstaltsgebäude waren kaum zu vermeiden. Aber gerade das Gegenteil gilt von dem architektonisch so bedeutenden Seehandlungs­gebäude aus dem Jahre 1772, das mehr aus Neuerungsbestrebungen ohne zwingende Gründe hat fallen müssen, und wobei leider der Staatskonser­vator für die öffentlichen Gebäude völlig versagt hat.

Um aktuell zu sein, wenden wir uns nunmehr den zurzeit bedrohten sowie denjenigen öffentlichen Gebäuden zu, über denen das Damokles­schwert der Vernichtung hängt.

Die Königskolonnaden! Ist ihre Beseitigung erforderlich? Da ich 36 Jahre lang in der Tiefbaudeputation des Magistrats, welcher die Straßen und Plätze unterstehen, bis in dies Jahr hinein tätig gewesen und seit Existenz der Stadtbahn deren Abonnent mit dem Zielpunkt Alexanderplatz bin, also die in Frage kommende Strecke bei Tage wie bei Nacht auf das allergenaueste und als zuständiger Sachverständiger kennen gelernt habe, so muß ich die aufgestellte Frage auf das entschiedenste verneinen. Nach meiner Beobachtung teilt sich der Verkehr so, daß die Eiligen meist den Bürgersteig vor der Kolonnade, die weniger Eiligen den Kolonnadenbau selbst passieren. Das geht ganz tadellos; wer den Verkehr in der City von London kennt, weiß, daß er in manchen Straßen, die enger als unsere Königstraße sind, sich glatt abwickelt, ohne daß die dortigen Stadtväter oder die Polizei an eine Straßenverbreiterung denken. Nach meiner Über­zeugung handelt es sich, wie an anderen Stellen unserer Stadt, wieder einmal um bloße Fiskalität. Der Fiskus möchte die ihm lästige Unter­haltung der Kolonnade loswerden und dabei gleichzeitig durch Verkauf der Baustelle teils als Straßenland, teils als Bauland ein vorteilhaftes Geld­geschäft machen. Und das sollte er nicht, da das konservatorische dem Geld-Interesse vergehen und der Staat dies vor allem selbst betätigen muß. Die Königskolonnade, von Karl von Gontard 1777 erbaut, ist die