Heft 
(1911) 19
Seite
93
Einzelbild herunterladen

21. (7, ordentliche) Versammlung des XVIII. Vereinsjahres.

98

friderizianische Brandenburger Tor. Während die alten klassischen Architekten mit feinem Verständnis die Verhältnisse vor und hinter diesen Toren ab­gewogen haben, glauben gewisse moderne Architekten, darin den echten Epigonen gleich, es besser zu verstehen als die Altmeister. Nur die Ab­lehnung der Stadtgemeinde sowohl gegen einen Geldzuschuß als auch gegen den Abbruchsgedanken überhaupt hat den Abbruch der ersten beiden Tore seitens des Fiskus, der bei jedem derartigen Vorgang recht viel für den Staatssäckel lukrieren will, verhindert.

Die Komödie wegen Verlegung des Brandenburger Tores nach dem Großen Stern, die in eine Tragikomödie auszuarten drohte, ist hoffentlich für immer begraben, aber noch immer schwebt einigen Stadtverbesserern der Gedanke vor, das Brandenburger Tor auf beiden Seiten freizulegen, was den vornehmen Eindruck der Geschlossenheit des Pariser Platzes ver­nichten würde. Vorwand: der starke Verkehr durch das Brandenburger Tor und die störende, gefährliche Kreuzung der elektrischen Straßenbahnen. Glücklicherweise tritt auch hier die Stadtgemeinde Berlin, wie ein Deus ex machina, als Helfer ein die Gleise werden unterirdisch verlegt, damit wird das Verkehrshindernis beseitigt und das Brandenburger Tor mit seinen Anbauten unversehrt gerettet werden.

Daß bei einigem guten Willen und Verständigung unter den ver­schiedenen maßgebenden Faktoren in Berlin manches gerettet werden kann, dafür nur drei Beispiele: das Ephraimsche Palais, Poststraße 16. schwei- bedroht, aber von der Stadt erworben und durch Baurat Blankensteins Verdienst auf das glücklichste und mit pietätvoller Schonung zu einem Dienstgebäude umgemoldet; die Heiligegeistkirche, vom Staatskonservator bekanntlich bereits als unrettbar aufgegeben, ist dank der nicht genug zu preisenden Einsicht der Ältesten der Kaufmannschaft beim Bau ihrer Handelshochschule dieser als willkommener Bibliothek bau mit Lesehalle geschickt angegliedert worden; die Nazarethkirche an der Müllerstraße, eine der vier Schinkelschen Außenkirchen, war zu klein geworden und sollte durch einen größeren Neubau ersetzt werden. Dieser ist auch ausgeführt, das kleine harmonisch wirkende Gotteshaus aber davor, hauptsächlich dank dem Entgegenkommen der städtischen Behörden und der Umsicht des in Bausachen besonders erfahrenen Pastors Diestelkamp, unversehrt erhalten worden.

Wohl mancher Leser wird angesichts der langen, aber noch lange nicht vollständigen Trauerliste vom Kampf um die alten Bauwerke Berlins sich im stillen gefragt haben: Wo blieb denn bei den zahlreichen fiskalischen Gebäudeabbrüchen der Konservator der Denkmäler des preußischen Staates, der das Oberaufsichtsrecht auch über die historischen Bauwerke Berlins auszuüben hat? Man muß doch wohl oder übel annehmen, daß sein Ein­spruchsrecht unbeachtet verhallte. Trotz seiner scheinbaren erhabenen Hochwai'testellung steht doch der Staatskonservator nicht über, nicht neben,