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Elisabeth Lemke.
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zu sein, was sich auf der Erde ereignete. Von ihrem Ausflug zurückgekehrt, setzten sie sich auf Odins Schultern, ihm ins Ohr zu sagen, was sie erschaut und erfahren hatten.
In ganz anderem Sinne, als man sonst den Ausdruck braucht, nannten die an Odin-Wodan glaubenden Menschen diesen Gott „Raitenvater“ 1 ). Im übrigen versteht man darunter einen unnatürlich lieblosen Vater.
Die Alten glaubten, daß der Rabe seinen Jungen auf recht unfreundliche Weise die Anleitung zum Fliegen gäbe: wenn er die Meinung gewonnen habe, die Jungen wären jetzt alt genug dazu, würfe er sie einfach aus dem Nest. — Damit steht in Verbindung, daß in der ägyptischen Hieroglyphik ein Vater, der seine Kinder verstößt oder enterbt, durch einen Raben bezeichnet wird. 2 )
Aus meiner Heimat Ostpreußen kenne ich eine Natursage, die zwar solche Lieblosigkeit bekräftigt, zugleich aber — sonderbarer AVeise — an die einstige göttliche Wertschätzung erinnert. „Der Rabe ist bei Gott sehr angenehm; das sieht man deutlich daraus, daß der liebe Gott ihm fünf AVochen lang die Jungen ernährt. Die jungen Raben sehen so gries (grau, unsauber) und häßlich aus, daß der alte Rabe sie nicht leiden kann und nicht füttern mag. Nein, er schleppt sogar einen Stein ins Nest und bedeckt dasselbe, damit die Jungen gar nicht zu sehen sind. Und dann fliegt er weg, und das Nest ist ganz verstohlen. Aber der liebe Gott hat es so eingerichtet, daß sich dann von selber Würmer einfinden; und die jungen Raben fressen die Würmer und bleiben am Leben. AVoher es stammt, daß der liebe Gott so gut zu den Raben ist, kann jedoch keiner wissen.“ 3 ) (Nachher, an anderer Stelle, werde ich eine Erklärung dafür geben.) — Montelius erwähnt, ohne die Gegend anzugeben, daß der Landmann die Raben „Gotteshühner“ nenne. (Die Krähen aber nur „Königshühner“.) Und er (M.) sagt: „Im Frühling, wenn man des Vogelflugs zu allermeist Acht hat, sieht man gewöhnlich zwei Raben beisammen, woher denn auch die Doppelzahl der Odinsraben erklärlich.“ 4 )
Über den Flug des Raben ist viel nachgedacht und gefabelt worden. — Der mythische Rabe fliegt unablässig durch die Luft und wird erst in der Ewigkeit ausruhen. „Er ahnt das AVeltende früher als (Odin-) AVuotan und alle Äsen.“ Wenn Hugin zum Himmel (d. h. zur Ewigkeit) geflogen ist, ohne wiederzukommen, so ist für ihn die Zeitlichkeit zu Ende.'’)
’) Wohlthat, Der Nachtrabe. (Am Urdsbrunnen; 1884, Heft 6, Jahrg. 3, ßd. II.) S. 101 f.
2 ) J. B. Friedreich, D. Symbol, u. Mythol. der Natur. (AViirzburg; 1859.) S. 251 f.
3 ) E. Lemke, Volksthüml. i. Ostpreußen. (Hohrungen, AV. E. Harich, 1887.) II. Bd. S. 21 f.
4 ) Montelius, Die Deutschen Volksfeste, ALilksbräuche n.a.w. (1858.)
3 ) Wohlthat, a. a. 0.