Heft 
(1911) 19
Seite
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£>ev Rabe in der Volkskunde.

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Das Verhalten des Rahen, den Noah ausschickte, entspricht auch dem Beginn eines neuen Lebens.

Der Rabe ist ein mutiger, kräftiger Vogel, dabei klug, schlau und vorsichtig.') Die Dichtung gab ihm noch andere Eigenschaften: er kann in die Zukunft schauen und das Geschaute durch Krächzen oder Geschrei verkünden, wodurch er oft zumUnglücksvogel wird; er wird aber auch zuweilen zumGlücksvogel, wenn er nämlich dem Schatzgräber die ersehnteSpringwurzel zuträgt.-)

In nie zu erhellendes Dunkel verlieren sich zahllose, mehr oder minder übereinstimmende Anschauungen und Betätigungen verschiedener Völkergruppen. Der Sonnengott Mithra hat auf seinem Mantel einen sitzenden Raben; und die Priester dieses Gottes heißenRaben. Auch hier ist der Vogel Sinnbild der Allwissenheit. Er war auch dem Phöbus Apollo heilig und dessen Bote. Als er Apollo die Untreue der Koronis melden mußte, verwandelte der Gott den bis dahin weiß gewesenen Raben in einen schwarzen. Apollos Begleiter Aristeas wurdesein Rabe genannt. Im Apollotempel bei den Smaragdgruben der ägyptischen Wüste, sowie zu Koptos wurden Raben gahalten. 3 ) Die Verbindung mit einem und den andern Sonnengott verdankt der Vogel offenbar seiner Klugheit und Vor­sicht, die ihn beim Spähen so gute Dienste leisten. Friedreich (a. a. 0.) sagt von ihm: gleich wie die Sonne alles sieht.

So wurde der Rabe auch bei den Parsen der lichtglänzendeHimmels­vogel, fernschauend, verständig und die Himmelssprache redend. Sein Kopf und seine Füße waren von Gold. 4 ) In Wirklichkeit sind seine Füße schwarz, und das stahlblau, violett und grün schimmernde Gefieder ist in der Hauptsache schwarz.

Nach dem Glauben der Aelpler wurde der einst weiße Rabe erst schwarz, als er dem Jesuskind Verdruß bereitet hatte.') Und in einer Sintflutsage wird er schwarz, weil er bei einem schaurigen Schmause ver­gißt, heimzukehren.')

Auch für den angeblich ungestillten Durst des Raben kennen wir Erklärungen, die Örtlich und zeitlich weit auseinander liegen. Eine griechische Sage erzählt: Der vom Sonnengott ausgesandte Rabe, der aus einer Quelle Wasser zum Opfer holen sollte, bekam arge Lust zum Schmausen, als er neben der Quelle einen Feigenbaum fand. Leider waren aber die

') Friderich, a. a. 0.

2 ) Wohlthat, a. a. 0.

3 ) Wohlthat, a. a. 0.

4 ) Friedreich, a. a. 0.

5 ) L. Freytag, Thiere im Glauben der Aelpler, (Centr.-Org. f. d. Int. d. Real- schulv. 1896. März.)

) Oskar Dähnhardt, Natursagen. (Leipzig u. Berlin, ß. G. Teubner, 1907.) Bd. 1. S. 64.