Heft 
(1911) 19
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Elisabeth Lemke.

raben einen ruhelos gewordenen, einst grausamen Fuhrmann erkennen wollen. Wer denNachtraben verspottet, kann sich darauf gefaßt machen, von dessen eisernen Flügeln totgeschlagen zu werden. DerNachtrabe wirft zuweilen eine Pferdekeule aus der Luft, welcher Torgang sicherlich mit den Pferdeopfern des alten Gottes in Verbindung gebracht werden kann.')

Der einst auf einem Banner oder dgl. kunstvoll gearbeitete Rabe galt lange Zeit (obgleich Odin als Gott des Krieges im Cultus nur schwach bezeugt ist * 2 ) dem in die Schlacht ziehenden Heer als bedeutungsvolles Zeichen. Die Dänen führten in ihrem Wappen Odins Raben.

Karl Weinhold sagt in seinem BucheAltnordisches Leben (1856; S. 322):Es wurden von den Frauen nicht nur Borten, sondern auch größere Sachen gestickt und allerlei bildliche Darstellungen versucht. Die nordischen Jungfrauen schmückten die Banner mit dem Tierbilde des Führers. Die Dänen, die zur Zeit Alfreds das Schloß Rynvid in England (im heutigen Devonshire) belagerten, führten eine Fahne, die Ragnar Lodbroks Töchter gestickt hatten. In der Mitte breitete ein Rabe seine Flügel aus und hob oder senkte sie, je nachdem es zum Siege oder zur Niederlage ging. Die Fahne hieß davon selbstHrafu. 3 )

In altgermanischen Zeiten führten die deutschen Stämme (z. B. auch Alamannen und Sueven) auf Stangen befestigte Tierbilder, Wölfe, Raben u. s. w. als Feldzeichen. So zogen auch die Normannen unter dem Rabenbanner, einer frei an einer Stange angebrachten Rabenfigur, in die Schlacht. Noch im Jahre 1157, in der Schlacht bei Grathehede, führte Woldemar das Rabenbanner. 4 5 )

Die Normannen, so scheint es, haben auf ihren kühnen Seefahrten stets Raben mitgenommen, um zu erkunden, ob Land in der Nähe sei. So ließ Floki Raben ausfliegen, bis einer derselben nicht mehr zurückkehrte; auf diese Weise entdeckte er Island. Wenn sich ein Rabe auf einen Schiffsstaven setzte, so wußte man, daß Kampf bevorstand. Und was konnte den kriegerischen Normannen lieber sein, als die Kampfeszeichen? ') Nach Saxo (S. 733) bedeuteten viele Raben über einem Heere dessen Sieg. 6 )

Zu der meist durch Sagen überlieferten Schätzung des Raben gesellen sich einige Funde, deren schon in Grimms D. Myth. (4. Ausg., S. 123) gedacht wird. Im Jahre 1843 wurde zu Boeslaend auf Seeland ein Urnen-

) Wohlthat, a. a. 0.

2 ) Meyer, a. a. 0., S. 253.

s ) Fried reich, a. a. 0.:Die Normannen entnahmen von den Raben die Vor­zeichen im Kriege; der Normannenhäuptling Ragnar Lodbrokr hatte einen Raben auf seiner Schlachtfahne, und je nachdem derselbe munter mit den Flügel flatternd oder die Flügel hängend erschien, schloß man auf Sieg oder Niederlage.

4 ) Wohlthat, a. a. 0.

5 ) Wohlthat, a. a. 0.

6 ) Meyer, a. a. 0., S. 112.