Der Rabe in der Volkskunde.
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vergreift sich der Habe an Gold und Silber u. dgl. m.; er trägt das gestohlene Gut in sein Nest oder schleppt es an einen anderen verborgenen Ort. Mancher Mensch ist seinetwegen in schlimmen Verdacht geraten.
So auch jener arme Diener, den der grausame Bischof Thilo von Trotha in Merseburg hinrichten ließ, weil ein kostbarer Ring abhanden gekommen war. Zu spät entdeckte man, daß ein auf dem Schloßhof gehaltener Rabe den Ring an sich genommen hatte. Nun wurde dem Bischof doch unheimlich zu Mute; und zum Gedächtnis für seine Übereilung ließ er sich ein neues Wappen fertigen, in dessen Schild ein Rabe zu sehen war, der einen Ring trug. Dies Wappen wurde überall am Bischofsschlosse angebracht; und schließlich ordnete der Bischof an, daß stets ein lebendiger Rabe auf dem Schloßhof gehalten werden solle. — Auch der h. Ida wurde ein Ring durch einen Raben gestohlen. Ihrem Gemahl aber kam in den Sinn, sie könnte den Ring einem andern Manne verehrt haben. Flugs ließ er sie in den Abgrund stoßen. Als Entschädigung dafür prangte später ein Rabe im Wappen der h. Ida. 1 )
„Auf der Spitse des Rathenower Tors zu Brandenburg a. d. H. sieht man einen Raben, in dessen Schnabel ein Ring mit daran befestigter Kette sichtbar ist. Den hat einer der ehemaligen Bischöfe dort anbringen lassen zum ewigen Andenken daran, daß er seinen Diener ungerechter Weise hinrichten ließ. Dem Bischof war nämlich einst ein Ring fortgekommen, und da — so viel er auch hin und her sann, wer ihn genommen haben könnte — doch sein Verdacht sich immer wieder auf jenen Diener wendete, der allein in seinem Zimmer gewesen war, so befahl er, daß er wegen des Diebstahls mit dem Tode bestraft werde; und dieser Befehl wurde auch sogleich vollzogen. Darauf vergehen einige Jahre, und es wird an dem Dache eines der Kirchtürme etwas gebessert; da findet man viele Rabennester — und wunderbarerweise in einem derselben den Ring, um dessent- willen der arme Diener hingerichtet war“ 2 ) — Die von Adalbert Kuhn (ebd.) berichtete Sage aus Prenzlau (die ich im Nachtrag geben werde) spricht von einer Krähe und einem Krähennest. Es liegt da wohl Verwechselung vor.
Nachdem man Wodan : ') in den Teufel umgewandelt hatte, wurden dem Raben auch mancherlei unzutreffende, gräuliche Dinge nachgesagt, nur ausnahmsweise genoß er von Seiten der Geistlichkeit einige Freundlichkeit. — Beim Hinscheiden eines verworfenen Menschen näherten sich dessen Wohnstätte Raben, um die Seele zur Hölle abzuholen. 4 ) — Auch der
Friedreich, a. a. 0. (Bechstein, Deutsches Sagenbuch; Nr. 426.)
2 ) Kuhn, a. a. 0. S. 60. (Nr. 61.)
3 ) Aber viele Eigenschaften Wodans waren auf die Heiligen Nicolaus, Martin, Michael, Oswald, Bonifacius und Hubert übergegangen. (Meyer, a. a. 0. S. 257 f.)
4 ) Montelius, a. a. 0.