Heft 
(1911) 19
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Der Rabe in der Volkskunde.

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Einst meinte man, Prophetengabe zu gewinnen, wenn man das Herz und die Eingeweide eines Raben esse. Raben sagen (leider nur in Märchen) den Blinden das Mittel, wodurch sie ihre Sehkraft wieder erhalten können. In Ungarn hängt man die von König Mathias Hunniades mit dem Bilde des Rahen geschlagenen Dukaten den Kindern um den Hals, als ein gutes Mittel das Zahnen zu erleichtern. 1 ) (Grimm macht uns mit den zuerst in Freiburg i. B. geprägten, schweizerischen Münzen bekannt, die einen Rabenkopf zeigten undRappen genannt wurden. Das Wortrappen will zwar soviel sagen, wieeine Wand mit Putz bewerfen;b erapp en aber ist uns ein geläufiger Ausdruck für bezahlen. Das WortRappa bezieht sich nach Grimm in Süddeutschland auf Rabe und Krähe; und daran lehnt sich die Bezeichnung für ein schwarzes Pferd.) In Tirol vertreibt das in einem Tuch um den Hals getragene Rabenherz die Schlafsucht; das Gehirn des Raben heilt erfrorene Glieder; 2 3 ) und zu einem Mittel, verlorenes Gehör wiederherzustellen, gehört auch die Galle des Raben. 1 )

Der Aberglaube wird mehr und mehr schwinden; aber die überklugen Raben werden auch weiterhin in Märchen (es sei nur an das Märchen von den 7 Raben erinnert) herumflattern, die Kinderweit entzücken und die großen Leute an die weit, weit zurückliegende Zeit mahnen, da eine noch kindliche Menschheit in Furcht und Verehrung ihren Natur-Gottes­dienst aufnahm und ausgestaltete. Wer sich liebevoll (oder doch wenigstens gerecht erwägend) in die erwachte, suchende Volksseele und in ihre oft rührend hülflose Art vertieft, entsetzt sich nicht mehr vor krassen Wider­sprüchen und törichten Einbildungen. So kam es, daß ich auch einmal über den Raben zu Ihnen sprechen wollte.

Zum Schluß verrate ich Ihnen noch, das man glücklich werden kann durch Finden einer Rabenfeder. 4 ) Aber daß solche Feder auch mit Betrübnis in Zusammenhang steht, lernen wir aus einem Ständchen in Ritornellen aus Albano:

Mein Mädchen hat ein Briefchen mir geschrieben Wol mit der schwarzen Feder eines Raben Und hat mit Zwiebelschalen es versiegelt. 5 )

Vielleicht ist diese Angelegenheit aber doch nicht so tränenreich, wie es den Anschein hat. Die Rabenfedern wurden einst (nachdem sie, wie die Gänsefedern, in heißer Asche gelegen hatten) zum Schreiben benutzt und zwar zur feinsten Schrift. Die harten Rabenfedern

) Friedreich, a. a. 0.

2 ) Dorier, a. a. 0., S. 170.

3 ) Dörler, a. a. 0., S. 42.

4 ) Montelius, a. a. 0.

5 ) 0. L. B. Wolff, Poetischer Hausschatz des deutschen Volkes. (1847.) S. 329. Wilhelm Müller, Ständchen i. Ritorn. a. Albano.