Heft 
(1911) 19
Seite
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24. (8. ordentliche) Versammlung des XVIII. Vereinsjahres.

Da sitz ich nun und schreibe Dir diesen Brief und ich sehe unterm Schreiben, zwischen dem grünen Laub- und Lärchenralunen hindurch, an der Liebesinsel*) vorbei und über den leicht wellenden See weg, darüber die hellen Pfeiler unseres Laubenganges aus dem dunklen Garten von Mutter Bocks Garten blitzen, und ich ahne Dich dahinter, wie Du es ge­waltig wichtig hast in emsigen Hausfrauenpflichten.

Zehn Schlüssel klirren Dir vom Bund;

Das ist kein kleines Walten,

Die Schreine, Schränke, Kästen und '

Laden in Zucht zu halten.

Und ich Faulpelz liege derweil auf der Insel der Seligen und lasse Verse steigen, wie die Kinder bunte Drachen steigen lassen und erlustiere mich zwischen den blühenden Herrlichkeiten aller Breiten, die ein sorg­samer, guter und wissender Freund der Natur mit Herbergsvatertreue hier heimisch gemacht hat auf einer stillen Havelinsel mitten in der Mark. War ich gelehrt und mein Kopf eine Botanisiertrommel, was wollt ich Dir da für Namen auskramen: afrikanische und amerikanische, chinesische und japanische und Du solltest wacker nachschlagen müssen in der Flora aller Fadzonen und solltest einen gewaltigen Respekt kriegen vor meiner Be­schlagenheit in botanicis. Aber ich verstehe von all diesen schönen leben­digen Dingen nichts als ihre Schönheit und ihr blühendes, fruchtendes Leben, das für mich keinen Namen und nur den einen Sinn hat: Schönheit in Freiheit

Das ist so wunderbar hier, daß der Fremde im Heimischen wie Heimisches steht, nicht etikettenbehangen und in Studienbeeten als Museums­kuriosität, sondern wildschlicht unter dem, was uns gewöhnlich scheint und doch auchWunder ist: der Japandornbusch neben dem Johannisbeerstrauch, das Bambusbäumchen neben der Königskerze, der Lorbeer am Stamme der Eiche. Und kein Wildling wird ausgerauft, nichts Lebendiges wird als Unkraut bekriegt, keine Gartenschulmeisterei schwingt den Bakel über der Natur.

Drum ist diese Insel wie geschaffen für Poeten. Nur die Spatzen noch können sich, wegen der dreitausend Kirschbäume, hier so lebgliicklich fühlen, wie ditf Dionysiker der Beschaulichkeit, die sich durchs Auge be^ rauschen und in Versen Schwarmgeistern.

Auch Dich, liebe Meine, hab ich einmal recht wundersam auf Scharfen­berg gesehen und just darum schreibe ich Dir diese Scharfenbergepistel, die Du ganz gewiß im Manuskripten-Korb nicht finden und eher nicht lesen sollst, als bis sie gedruckt ist in Deinem Buche:

*) Gemeint ist das kleine Bollesche Eiland Lindwerder, von Liebespaaren gern aufgesucht.