9. (7. außerordentliche) Versammlung des XIX. Vereinsjahres.
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Diese Fabrik ist in der letzten Zeit aus der Stadt hinausgelegt worden.
In den fünfziger und sechziger Jahren folgten dann noch die von Schultze, sowie die von Nitsche und Günther. Letzteres ist die größte, und beschäftigt 1200Arbeiter. Im ganzen haben in Rathenow etwa 10—12000 Menschen ihre Nahrung aus den optischen Erzeugnissen. Dieser gehaltvolle Vortrag wurde von der Gesellschaft mit lebhafter Anerkennung belohnt. Auch Herr Geheimrat Friedei sprach dem Herrn Redner den Dank der Gesellschaft aus.
Darauf wandelten wir über die Schleusenbrücke und durch die neuen Anlagen wieder zur Stadt zurück. Der Besuch galt der St. Marien- Andrcas- Kirche. und Herr Superintendent Ettel hatte hier die FührungVf^),«y, nebst Erklärung übernommen. Die Kirche ist im Anfänge des 14. Jahrhunderts aus Backstein im romanischen Stil erbaut. Sie war ursprünglich eine Kreuzkirche, wie die Fundamente lehren. Der erste Umbau wurde in der Zeit von 1517 bis 1589 vorgenommen, und es wurde der Altarraum angefügt. Der Turm ist erst 1825—28 angebaut worden, und das Innere wurde 1905 erneuert, Zu beiden Seiten befinden sich neben dem Altarraume kleine Kapellen und zwar die St. Marien auf der Nord- und die St. Andreas auf der Südseite. Bei den jüngsten Arbeiten wurde die Orgel herabgesetzt und der Anstrich von den Säulen entfernt, -sodaß die schwarzen gewundenen Bänder wieder zum Vorschein kamen. Die Säulen des Hauptschiffes sind rund und die des Altarraumes achteckig; an ihnen finden sich Reste von Malerei, und es ist noch keine Einigkeit erzielt worden, ob sie aufgefrischt werden sollen. Der ursprüngliche Schnitzaltar der Kirche befindet sich im Kaiser Friedrich Museum, und der neue ist vom Kommerzienrat Busch gestiftet. Die Kanzel ist sehr schön, sie stammt aus dem Jahre 1709 und ist mit zahlreichen Reliefs, die Personen aus der biblischen Geschichte vorstellen, geschmückt. Die Wände des Kirchenschiffs sind mit Bildern und Gedenktafeln behängen. Darunter^finden sich mehrere Bildnisse von ehemaligen Inspektoren, wie die Prediger früher genannt wurden, z. B. das des Predigers, der die Siegespredigt nach der Einnahme der Stadt gehalten hat. Hierzu ist auch ein Epitaph zu rechnen mit der Darstellung des barmherzigen Samariters und einer Ansicht der Stadt im Hintergründe. Eine Gedenktafel erinnert an den Leutnant von Trachen- berg, der in Rathenow geboren war und am 16. September 1809 in Wesel erschossen wurde. In dem Triumphbogen vor dem Altarraum hängen zwei alte Fahnen, wahrscheinlich wohl keine Kriegsbeute, sondern Stadtfahnen aus dem 17. Jahrhundert. Auf einem Balkon unter der südlichen Empore findet sich eine sehr merkwürdige Inschrift aus dem Jahre 1594, die folgenden Wortlaut hat: Virtus semper habet comitem invidiam. Miserrimus ille qui non habet osores. D. h. auf Deutsch: Die Tugend hat immer den Neid im Gefolge. Ein höchstelender Mensch ist der, welcher keine Neider hat. Nachdem Herr Geheimrat Friedei Herrn Superintendenten Ettel