11. (8. ordentliche) Versbmmlung- des XIX. Vereinsjahres.
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XXVII. Aus Lindow, Kreis Ruppin. Nachtrag zum Wanderfahrt-Bericht vom 11. d. M. Die älteste Kanzel der Dorotheenstädtischen Kirche, von welcher aus auf der jetzigen Kirchstelle im Freien unter Lindenhäumen gepredigt wurde, ward 1678 errichtet und diente einige Jahre, bis 1687 das Kirchengebäude zur Einweihung gelangte. Wie Herr Pfarrer Vogel der Brandenburgia am 26. November 1909 an Ort und Stelle (Monatsblatt XIX, S. 49) mitteilte, schenkte man diese derbe Holzkanzel der schweizerisch-reformierten Kirche zu Lindow.
Den dort ansässigen Herrn Amtsrichter Jacobick, der Brandenburgia wohl bekannt durch den Ausflug nach Lindow am 11. September 1910, bat ich, nach dem Verbleib dieser Kanzel zu forschen. Herr Jacobick schreibt:
1. Die reformierte Kirche ist, weil baufällig, 1875 abgebrochen;
2. das Fach- und Holzwerk aus dem Abbruch erstand der längst verstorbene Zimmermeister Drescher von hier;
3. das Gebälk ist von Drescher damals zu Scheunenbauten verwendet, wo im einzelnen, ist nicht mehr festzustellen. Alles andere Holzwerk — also auch wohl das der Kanzel — soll Drescher, weil wurmstichig und wertlos, als Brennholz verbraucht haben. Soweit Herr Jacobick.
Dem füge ich beiläufig hinzu, daß Drescher in der Mark viel gebaut hat, u. a. die Villa unseres verstorbenen Vorstandsmitgliedes Dr. Carl Bolle auf Scharfenberg, der größten der drei ihm gehörigen Inseln im See bei Tegel. Bekanntlich sind die letzteren von der Stadt Berlin erworben, es schwebt aber noch ein Prozeß gegen die Humboldtschen Erben, welche in diesem Falle das Vorkaufsrecht ausüben wollen, während Berlin die Berechtigung dazu verneint.
XXVIII. Kürzlich fiel einer der steinernen Löwen vom Turm der Parochialkirche hierselbst. Auf Wunsch der Redaktion des „Berliner Lokal-Anzeiger“ veröffentlichte ich in der Nummer vom 2. Juli v. J. folgende Mitteilung hierzu:
Die Löwen an der Singeuhr.
Von Ernst Friedei.
Singeuhr oder Singeuhrkirche nennt der alte berlinische Volksmund das schöne Gotteshaus, welches amtlich Parochialkirche heißt, etwas sonderbar, da es die einzige Kirche Berlins ohne Parochie im engeren Sinne ist.
Jeder Berliner weiß, daß die Parochialkirche ein melodisches Glockenspiel und am Fuß des Turmes vier Löwen besitzt, von denen einer sich kürzlich unliebsam dadurch bemerkbar machte, daß er plötzlich von seiner luftigen Höhe herabstürzte und beinahe einen der Wächter des Gesetzes auf der Straße getroffen hätte.
Was sich aber die „ältesten Leute“ von diesen Löwen erzählen, das weiß nicht jeder Berliner, und erst recht nicht der Fremde.