Heft 
(1911) 19
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Kleine Mitteilungen.

Kleine Mitteilungen.

Der Harn im Volksglauben. Zur Zeit, da sich die brandenburgische Fürstenschule, das Joachimsthalsche Gymnasium, noch in der Ilckermarck befand, beklagten Lehrer der Anstalt, daß ihre Scholaren dort sehr unter einer juckenden Krlltzc an den Händen, dem Pj ^kcrt , zu leiden hätten. Pickert nannte man die Krlitze wohl deshalb, weil sie gern an den Fingerhügeln den Knebeln auftrat, vielleicht daher die Namenverwandtschaft mit dem eng­lischen Worte pic = Hügel, Spitze oder Ilorn. Jedenfalls verursachte der Pickert ein Puckern, einen stechenden Schmerz in den erkrankten Teilen, der mit dem gleichfalls naheliegenden to pick = stechen gekennzeichnet wird. Noch heute ist der Pickert bei schlechter Hautpflege in der Uckermark be­kannt, verursacht durch hartes, eisenhaltiges Waschwasser, mangelhaftes Ab­trocknen der Haut bei rauhem Wetter, wodurch Hautschründe entstehen, die leicht Unreinlichkeiten und Milben, von Tieren stammend, aufnehmen.

Wie vor dreihundert Jahren und wahrscheinlich auch früher, wurde gegen den Pickert neben Schmierseife der Urin des Patienten verordnet, indem dieser sich die Hände damit zu benetzen hatte. Dieser Gebrauch hat eine uralte Unterlage, da Seife und Harn als Kulturträger Verwandtschaft hielten, bei primitiver Kultur ersetzte der Harn sogar die Seife. Schon die Namengleichheit erinnert daran, denn Harn heißt vulgär Seich, Seiche, platt­deutsch Seechc. Das althochdeutsche Sifc und sifen, das ist tröpfeln oder auch seihen, kennzeichnet noch nicht sprachlich die Unterschiede zwischen Harn und Waschmittel, obschon sich aus oifen unser neudeutsches schüfen für Harnlassen bildete. Durch den bekannten germanischen Sprachumschlag von f in eh, wie derselbe bei taufen und tauchen, be : Neffe utul Nichte u v. a. sich ergibt, wurde für den Allgemeinb'egrifF Seife, Seeche auch Seiche und Seeche unterscheidend Sprachgebrauch.

Eine gleiche Beziehung besteht zwischen den Begriffen Harn und Seife bezüglich der Herstellungsart der Letzteren Das Wort Harn oder Horn oder Hürn hatte vordem die Allgcmeinbedeutung von Abfall, Unrat, Moder, Mist, Kot Zum Beispiel liegen in der Oder beim Oderberger See einige Moderhügel aus Sinkstoffcn aufgebaut, die den bezeichnenden alten Namen

tvaosui ii Lummisem rui, uiu uiu iremLWMHuig ,ii'» 11 tragen, Zunächst wegen der ursprünglichen Bodenbeschaffenheit, dann wohl wegen der Form als Spitze oder Horn, was dem englischen pic entspräche. Aus Ilürn, Horn, Harn, das wären in dem Falle Abgänge, Unrat, Schmutz von Fetten, wurde in älteren Zeiten auch die Hausseife durch Zusatz von Laugen hergestellt, wodurch der alte Gemeinschafts-Begriff für Urin und Waschmittel erklär­lich wird.

Der uralte Glauben an die reinigende Wirkung des Urins ist auch jetzt in mancherlei Gestaltung geläufig. Es ist noch heute in der Uckermark Ge­brauch, wenn Arbeiter mit ihren Händen ekelhafte, ansteckende oder unan­genehme Dinge angreifen, sich zunächst bei Beginn in die Hände zu spucken,

v '~Hürnte führen. Desgleichen kommen in der Havel und in andern märkischen