Heft 
(1911) 19
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Kleine Mitteilungen.

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nach Beendigung 1 aber, sich schnell die Hände mit ihrem eigenen Urin zu benetzen und zu waschen, selbst wenn Seife dafür vorhanden wäre, die später in Benutzung tritt. Das ist alter Aberglauben, wahrscheinlich um sich von dem Schrecken und Abscheu zu reinigen, damit ihnen dieser nicht an die Nieren geht. So pflegen auch Wilddiebe nach Schluß des Raubzuges ihre Fußspur zu veipissen,sich verpijsse n heißt sich unsichtbar machen, um ihre Entdeckung zu vereiteln. Aus ganz ähnlichen Gründen in aber­gläubischer Furcht verursachen abgefeimte Diebe Schmutzereien, um sich sinnbildlich durch Hinterlassung von Kot und Harn von ihrer Missetat zu reinigen.

Auch tritt in der alten Arzneikunst die abwehrende Kraft des Harns sehr häufig zu Tage, von den vielen Rezepten, die sieh noch vor 200 Jahren großer Beliebtheit erfreuten und denen große Heilkraft zugeschrieben wurden, sollen zwei den Schluß machen.

1. Gegen starkes Nasenbluten und Blutstürze:

Nimm Lehm, am besten vom Backofen, mache davon mit Essig und frischer Pisse einen Brey, schlage diesen mit einem Tüchlein kalt über Stirn oder Nacken, das Blut wird sofort gestillet.

In diesem Mittel sind sogar die Bestandteile der neuzeitlichen essigsauren Tonerdelösung vorgeahnt zu finden.

2. Gegen Schwindsucht.

Siede in des Patienten frischgelassenem Urin ein Ey und lege es geschält in einen Pißmierenhaufen (Ameisen), die Schale dazu. Wenn die Mieren das Ey gefressen, so wird der Patient gesund.

Neues Schuhwerk, besonders die berüchtigtenzweinähtigen Stiefel, tränkten die Landleute vorbeugend inwendig mit Harn, das Brennen des Fußes zu verhindern und bequeme Gangbarkeit zu erreichen. Auch soll dann das Schuhwerk nie knarren, oder damit verraten, daß es noch nicht bezahlt sei. Jedenfalls sollte das so präparierte Schuhwerk seinem Träger Glück bringen, wie das durch den Volksmund auch anderm Unrat am Stiefel nach­gerühmt wird. Will man z. B. das Zusammentreffen glücklicher Umstände hervorheben, so heißt es: Du hast wohl heut wo hineingetreten!--

In früheren Zeiten wurde in Apotheken das sal urinae volatile (Ammon­carbonat) hergestellt, indem man frischen Harn von gesunden jungen Männern faulen ließ und dann abdestillierte. Der Harn ward allenthalben äußerlich bei Wunden, innerlich gegen kaltes Fieber angewendet Er war in diesen Fällen wirksamer, wenn er von dem entgegengesetzten Geschlecht des Patienten stammte, dem man das Mittel nie verriet. Großes Ansehen genoß der Harn innerlich beigebracht, als zauberischer Liebestrank in gewissen Kreisen. Man glaubte daran so fest, wie an den St. Niklas, der den Kindern am Julfest das Schuhwerk mit Nüssen, Äpfeln und Lebkuchen füllte, mit dem dieser Glaube, aus weit zurückliegenden Zeiten, gleichen Ursprung nahm.

Karl Wilke.

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