Heft 
(1913) 21
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Berlin als Frenulenstadt vor zweihundert Jahren.

V'on Siegfried Michaelis.

Die gewöhnliche Quelle, suis der wir unsere Kenntnis der Städte­bilder früherer Jahrhunderte schöpfen, bilden, wenn wir von gelehrten Darstellungen absehen, die in der Memoirenliteratur zerstreuten Angaben, sowie vor allem die in den Briefen mehr oder minder berühmter Zeit­genossen niedergelegten Schilderungen, ln beiden Fällen steht die Person des Mittoilenden in dem Vordergrund, und wir werden das Stadtbild auch nur durch sein Auge Wiedersehen. Ein recht objektiver Schilderer ist dagegen das Reisehandbuch, und nach einem solchen ver­suchte ich, mir ein Bild der Stadt Berlin wieder hervorzurufen, wie es sich dem Vergnügungsreisenden vor zweihundert Jahren bot. Allerdings mußte sich der vor mir liegende Reiseführer aus dem Jahre 1713 wohl das erste Buch dieser Art in deutscher Sprache, der auf 800 Seiten Duodezformat ganz Mitteleuropa, Frankreich und Italien behandelt und noch dazu56 accurate Post- und Bothen-Carten gibt, recht kurz fassen, aber die Beschreibung ist köstlich zu lesen und wird jedem Kenner der heutigen Berliner Verhältnisse zu denken geben. Es ist darum vielleicht das Beste, die Beschreibung wort- und buchstaben­getreu wiederzugeben und dem Leser die Kommentierung, die man au jedes Wort knüpfen möchte, selbst zu überlassen. Nur eines sei besonders hervorgehoben: Schon damals war eine der beachtens­wertesten Erscheinungen in Berlin die täglich aufziehende Wache.

Doch wie kommen wir nach Berlin? Wir entnehmen dies dem Verzeichnis, wie Seiner Königlichen Majestät in Preußen usvv. Posten in Dero Residentz-Stadt Berlin ein- und ablaufen. Der Verkehr nach Berlin muß nach dieser Postliste zu urteilen, im Vergleich zu mancher anderen bedeutenden Stadt Deutschlands schon damals, so lächerlich gering er uns auch heute erscheinen mag, verhältnismäßig sehr bedeutend gewesen sein, denn daß an einem Tage, wie z. B. Dienstags in Magdeburg oder Donnerstags in München, eine Post weder ankommt noch abgeht,

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