Heft 
(1913) 21
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Eine Schilderung Berlins aus dein Jahre 1830.

Mitgeteilt von Paul Alfred Merbach.

Die nachstehende Beschreibung der Reichshauptstadt, welche manches vom Erdboden im Laufe der Zeit verseilwnndene wieder iu Erinnerung ruft, entstammt einem kleinen, heute völlig verschollenem Büchlein, welches besser und geschmackvoller ist, als sein langatmiger Titel glauben lallt:Skizzen einer Reise von Wien über Prag, Teplitz, Dresden, Berlin, Leipzig, Weimar, Frankfurt a. M., Darmstadt, Heidelberg, Mannheim, Karlsruhe, Stuttgart, München, Salzburg und von dort nach Wien zurück in Briefen an einen Freund von Deinhardstein. Wien 1831. Der Ver­fasser, ein spezifischer Wiener, ist zunächst einer Betrachtung wert.

lohann Ludwig Franz Deinhardstein ward in Wien als Sohn wohl­habender. Eltern am 21. Juni 1794 geboren, widmete sich ohne inneren Beruf dem Stande seines Vaters, der Juristerei, und ging dann unter Ausnutzung persönlicher Verbindungen zum Lehrfache über, indem er seit 1825 an der Theresianischen Akademie Ästhetik traktierte. Einen Band Gedichte und einige Dramen hatte er veröffentlicht; natürliche Beredsamkeit, gutes Gedächtnis, Gewandheit und Liebenswürdigkeit machten ihn Schülern und Vorgesetzten gleich angenehm; nach dem wissenschaftlichen Fundamente ward von Anfaug an nicht gefragt, geschweige denn seit 1827, wo er noch das Amt eines Zensors über­nahm. Auch hier löste er die schwierige Aufgabe, sich nach unten beliebt zu machen, ohne nach oben zu verstoßen; er galt bei den Schriftstellern als humaner, bei der Polizei als zuverlässiger Zensor. Beides erreichte r im wesentlichen lediglich durch Worte; dem Minister gegenüber war er von der Würde und Notwendigkeit einer Zensur völlig durchdrungen; im Kreise der Schriftsteller verstand niemand besser diese Geistespolizei schärfer, pathetischer und witziger zu verdammen. Also ein spezifisch ormärzlicher Wiener; auch ist es eine echt österreichische Erscheinung, lull er zu seinen beiden Ämtern 1832 noch die Leitung des Burgtheaters ibernahm! Aber auch hier sind Sünden derZeit und Fehler des Volks- harakters nicht allein dem Individuum zuzuschreiben; auch in dieser

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