Eine Schilderung Berlins aus dem Jahre l&’O.
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Was mir sonderbar aufliel, war, daß sich wenig Musik hören ließ, und die vielen kleinen Lotterien, in welchen allenthalben mehr Eß- und Putz- waaren ausgespielt, als in den außer ihnen befindlichen Huden zum Verkaufe geboten wurden.
Du wirst mir, nachdem Du dieß gelesen, sagen, daß ein Berliner Volksfest sich nicht so himmelweit von einem wienerischen unterscheide, als Du geglaubst hättest, und ich muß Dir darauf erwidern, daß es wirklich so ist. Man setzt sich in der Hegel von den Zügen, welche man als charakteristische einer Sache hört, mit Hülfe der Einbildungskraft ein Bild zusammen, welches, da man die vermittelnden Nebenzüge wegläßt, eher Allem gleicht, als der Sache, der es gleichen soll. Viele glauben, in einem Lande, von dem sie hörten, daß es nicht weinreich ist, keine Weinrebe zu linden, und in einer nicht baumreichen Gegend, keinen einzigen Baum; eben so denken sie, daß es bei dem Feste eines minder regsamen Volkes wie bei einem Leichenzuge, bei dem eines regsameren so toll und ungebunden als möglich zugehe. Zuletzt hat dann doch das alte PARTOUT COMME CHEZ NOUS seine Richtigkeit, und also auch bei dem Berliner Volksfeste. Ich fand es nicht so kalt und unbewegt, als ich es mir vorgestellt hatte, und die Berliner werden die Wiener Volksfeste nicht so über die Maßen lebendig linden, als sie glauben mögen, w'enn ihnen ihr Volksfest unbelebt erscheint. Daß es übrigens bei Volksfesten größerer Städte, als Berlin, noch regsamer zugeht, ist in der Ordnung.
Nach dem Volksfeste besuchte ich das lvönigstädter 'Theater, *') in welchem man ein Lustspiel von Korntheuer, 4I ) „Alle sind verliebt“, und darauf „der Müller und sein Kind“, Parodie mit Gesang von Carl Meisl, ' , ) gab; letztere zum erstenmal wiederholt. Das Königstädter Theater ist ganz nach der Art des Berliner Iloftheaters gebaut, nur die Verzierungen an den Wänden der Gallerie sind von denen im lloftheater verschieden, und die dort in der Mitte befindliche Ilofloge fehlt im Königstädter 'Theater. Es ist sehr elegant und sehr groß, zwei Uebel- stände für eine Lokalbühne. Man erzählt mir allenthalben, daß es wenig besucht sey, w as ich auch an dem Tage, an welchem ich es besichtigte, auf eine ungewöhnliche Weise bestätigt fand.
Es erscheint mir das um so mehr auffallend, da Meisl’s Parodie bei der ersten Darstellung gefallen hatte und auch bei der Wiederholung gefiel. Mir scheint der Grund darin zu liegen, daß dieses Theater des Guten zu viel tliun will, sich seines eigentlichen Standpunktes schämt, und, darüber hinausgehend, die Ohnmacht seiner Kräfte zeigt, weiß mit schwarz mengt, und somit grau wird. Es ist an seinen Privilegien krank, nicht weil es deren zu wenig, sondern weil es deren zu viel lmt. Da es, mit Ausnahme der hohen Tragödie und der ernsten Oper, Alles geben darf, will es sich dieses Befugnisses im vollsten Maße bedienen, und