Mosaikpflaster kannte man überhaupt norh nicht, und die Nebenstraßen waren mit faustgrollen Granitsteiuen gepflastert, auf denen man recht unsicher und beschwerlich einherschritt. Per Grundwasserstand war vor Einrichtung der Kanalisation viel höher, so dail im Frühjahr bei hohem Wasserstande der Spree, die meisten Keller, und im Jahre 1830 sogar der Belle-Alliance-Platz unter Wasser standen. Diese Umstände ließen in jenen Zeiten das kalte Fieber in Berlin grassieren, das jetzt fast ganz verschwunden ist. Pie Feuchtigkeit des Krdlmdens bewiikte es, daß in den wenig belebten Straßen zwischen den Pflastersteinen der Bürgersteige eine niedrige Grasart lustig wucherte. Auf dieser Tatsache beruht der Ausspruch Wraugels, der im Jahre 1848, bei seiner Ernennung, zum Oberbefehlshaber der Truppen in den Marken, bei einer Parade sagte: „Wie traurig sehe ich Berlin wieder! — In den Straßen wächst Gras, die Häuser sind verödet“. Per General wähnte, Berlin müsse zu Grunde gehen, weil keine Gardetruppen in der Stadt waren, und mancher möchte selbst heute noch das Jahr 1848 aus der Geschichte Berlins streichen, trotzdem es nicht zu leugnen ist, daß mit dem Tage des 18. März der Aufschwung und der Siegeslauf begonnen hat, der Berlin zu seiner Höhe als Weltstadt führte.
Bis zum Jahre 1870 konnte man die Porotheenstadt als ipiartier latin bezeichnen, und das alte, wuchtige Turmgebäude der ehemaligen Sternwarte in der Dorotheenstraße 97 war das weithin sichtbare Wahrzeichen des Stadtteiles. In seinen alten Häusern, die ihren Ursprung meist auf die Entstehung der Porotheenstadt zurückführten, wohnten die Studenten „möbliert“, und in den Akademischen Bierhallen am Kastanienwäldchen fanden die Jünger der alma mater ihre leibliche Atzung des Mittags für 5 Silbergroschen, wenn die Mittel knapp zugemessen waren. Nach dem französischen Kriege aber, als der Milliardenstrom über Deutschland hereinflutete, da wuchsen statt des Grases — die Stadtbahn, die neuen königlichen Lehrinstitute, die Bankpaläste und die riesenhaften Hotels wie Pilze aus der Erde heraus; sie verdrängten die alten Wohnhäuser samt ihren „möblierten Herren“, und die Studenten zerstreuten sich über die ganze Stadt. Pas Aussehen und das Straßenleben des Stadtteils änderte sich von Grund auf, und das Kirchspiel der Neustädtischen Kirche verlor fast die Hälfte seiner Mitglieder. Meine Eltern betrieben in dem Hause Dorotheenstraße 88, Ecke der Friedrichstraße, eine damals in Berlin bekannte Mehl- und Vorkosthandlung, die durch mehr denn 2 Menschenalter bestanden hat. Pas Geschäft nährte seinen Mann; wenn aber heute jemand auf die Idee käme, an jener Ecke eine Mehlhandlung betreiben zu wollen, dann könnte er — ganz abgesehen von der horrenden Miete — nicht bestehen, weil in den großen Hotels, in den Staatsgebäuden und Bankpalästen nicht Leute wohnen, die 1 Pfund Mehl, 3 / 4 Metze Vogelfutter oder für