Alt-Berlinische Erinnerungen.
1 Silbergroschen Wäscheblau holen. Der gewaltige Menschenstrom von Fremden, der heute durch die Friedrichstraße flutet, hat ganz andere Interessen; er hastet nach dem Stadtbahnhof, und in den Räumen der ehemaligen .Mehlhandlung betrachten die Herren englische Modeartikel und die Damen funkelnde Brillanten. Der erwähnte Mehlladen war seinerzeit erleuchtet mit einer Gasflamme (ein sog. Rundbrenuer mit 8 Löchern); die Flamme durfte nur bis abends 10 Uhr brennen, und dafür mußte jährlich die Summe von 67 Mark bezahlt werden, elie die Gasmesser eingeführt wurden. Dreißig Jahre später war in dem entsprechenden Eckladen ein Zigarrengeschäft, und dieses wurde ex’leuchtet mit 16 Gasflammen für jährlich ca. 1200 Mark. Heute brennen in dem Herren-Garderobengeschäft 70 elektrische Glühlampen, und 15 Bogenlampen erleuchten die großen Schaufenster mit einem Kostenaufwande von über 4000 Mark. Mein Vater benutzte zu seiner Mehlhandlung das ganze Parterre des Hauses mit Laden, Wohnung, Remise, Stallung, und diese Räume waren zu einem Mietswert von 600 Mark abgeschätzt; heute dagegen bringt nach wiederholtem Umbau des Hauses derselbe Quadratraum in Gestalt von 2 Läden und 2 Zimmern über 20000 Mark Miete!
Von wannen all’ diese großen Veränderungen kamen, haben wir oben schon angedeutet. Wie ein schöner, warmer Sommertag war einmal der 18te März heraufgezogen! Tausende von Berlinern aus allen Ständen waren mittags auf dem Schloßplatz versammelt, welche die große, kaum glaubliche Mähr persönlich hören wollten, daß eine Konstitution und alle Forderungen des vorwärts drängenden Volksgeistes von dem Könige bewilligt seien. — Da zuckte in den sonnigen, politischen Himmel Blitzstrahlen, in Gestalt zweier Gewehrschüsse! — Die Nachricht von diesem unglückseligen und — nicht ganz aufgeklärten — Zwischenfall gelangte zwischen zwei und drei Uhr in die Dorotheenstraße durch eine Schar Studenten, die von der Universität hergelaufen kamen. Mit dem Rufe: „Verrat, Verrat! Man hat auf die Bürger geschossen! Waffen, zu den Waffen!“, stürmte die Schar weiter nach der Ballot’schen Turnanstalt in der Dorotheenstraße, um sich der daselbst befindlichen Schläger und Waffen zu bemächtigen. Eine Stunde später wurde eine Barrikade zwischen den Eckhäusern Nr. 87 und 88 erbaut, welche die Friedrichstraße nach den „Linden“ hin abschließen sollte. Ich betrachtete die emsige Arbeit der Leute aus der Nachbarschaft an diesem Bauwerk von Fässern, Brettern, Handwagen, Möbeln und Steinen mit jugendlicher Neugier und mit Staunen, denn als Schulknabe besaß ich noch kein Verständnis von den tiefliegenden Ursachen, die den erwachten Volksgeist mit elementarer Gewalt sich erheben ließen gegen veraltete Staats- und und Lebensformen.
Zu jener Zeit stand auf dem Turm der ehemaligen Sternwarte noch ein optischer Telegraph. Dieser war konstruiert nach Art der jetzigen