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Julius Rößler, Alt-Berlimsbe Erinnerungen.
Eisenbahn-Flügeltelegraphen, hatte aber sechs Flügel, von denen jeder in drei verschiedenen Lagen, rechtwinklig und spitzwinklig, nach aufwärts und abwärts durch Drahtzüge eingestellt werden konnte. Diese verschiedenen Stellungen der sechs Flügel bedeuteten bestimmte Worte oder Sätze nach der Art der jetzigen Flaggensignale bei der Seeschiffahrt. Die Richtung des Telegraphen ging mit Zwischenstationen nach Potsdam und dann weiter nach der Rheinprovinz.*) Naturgemäß konnte ein solcher Telegraph nur bei klarer Luft Dienste leisten. Der Telegraph, der am 18. März in steter Tätigkeit war, hatte schon am Vormittag fortwährend seine Flügelarme gleichsam wie verzweifelnd über dem Kopf zusammengeschlagen; am Nachmittag wurde er von den \erteidigern der Barrikade außer Tätigkeit gesetzt, damit die Regierung von Potsdam keine Hilfstruppen herbeirufen konnte, denn bei dem klaren, sommerlichen Wetter an diesem Tage wäre dies leicht möglich gewesen. Das große Fernrohr, das zur Beobachtung der nächsten Station diente, brachten einige Männer nach dem Kckhause Dorotheenstraße 87, wo es aus einem Bodenfenster gesteckt wurde und nun wie ein Kanonenrohr aussah. Das Volk handelte also noch mitten in der Vorbereitung zum Kampfe mit Humor und optischer Täuschung, aber damit war die Barrikade doch nicht zu halten. Nachdem den Verteidigern die Munition ausgegangen war, wurde die Barrikade in der Nacht von dem Militär besetzt und dann auch noch beseitigt.
Nach Einführung der elektrischen Telegraphie im Anfänge der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts wurde der optische Telegraph ausgeschaltet und nun ist im vergangenen Sommer nach dem Abbruch des altersgrauen, wuchtigen Turmes wieder ein Wahrzeichen von Alt-Berlin dahingesunken.
Ich stand vor kurzer Zeit noch einmal auf dem ehemaligen Reitplatz der Gardes du Corps-Kaserne inmitten des dem Untergange geweihten Akademie-Viertels. Dieser Reitplatz war in meiner Jugendzeit oftmals ein Spielplatz für mich und meine Kameraden gewesen, nun aber hämmerte rings umher die zerstörende Spitzhacke an den vertrauten, alten Gebäuden, und der Spaten grub die Gruben für neue Fundamente! Die Gedanken wanderten 60 Jahre zurück und ein wehmütiges Gefühl beschlich den alten Mann. Aber ich tröste mich mit dem Dichterwort:
„Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit,
Und neues Leben blüht aus den Ruinen!“
Noch einen Blick — dann schritt ich fürbaß, und Unter den Linden sah ich — die neuen Bänke!
*) Das Modell der damaligen Telegraphen-Station in Ehrenbreitstein ist im hiesige« Postinuseum zu sehen. Mit den 6 Flügeln des Telegraphen ließen sieh über 4000 Signale geben.