I
21. (14. außerordentliche Versammlung des XXII. Vereinsjahres.
85
aus dem Mittelalter hatte bis zum 18. Jahrhundert als markgräfliche Residenz, Sitz des Gouverneurs, Ritterakademie usw. gedient. Sie wurde nun das räumliche Zentrum der betriebsamen Rauchschule und ist heute das Rauchmuseum. Hier entstanden zunächst u. a. die Denkmäler Friedrich Wilhelms I. für Gumbinnen, des Königs Max Joseph für München, des Waisenvaters Franke für Halle, das feinempfundene Grabmal der kleinen Prinzessin Elisabeth von Hessen-Darmstadt und ca. 50 Büsten namhafter Personen. Diese kraftraubenden Anstrengungen im Dienste der Portraitplastik löste Wünsche nach Werken reinen Phantasieschaffens aus: eine Sehnsucht, die nur z. Teil in den beiden weiblichen Genien Rauchs am gotischen Kreuzbergdenkmal „Paris“ und „Belle Alliance“ und in mehrei-en lieblichen Kinderfiguren Befriedigung fand. Sogar der romantischen Richtung glaubte er damals einen gewissen Tribut schuldig zu sein, als ihn die Gruppe der mittelalterlichen Polenkönige „Miecyslaw und Boleslaw“ für den Dom zu Posen beschäftigte. Seine epochale Hauptleistung dieser Jahre aber repräsentieren die sechs herrlichen Viktorien für die Walhalla, die solchen Beifall fanden, daß aus diesen Idealgestalten, in denen der antike Nikebegriff mit deutscher Empfindung durchtränkt ist, noch eine weitere Zahl von Ruhmesgöttinnen von ihm selbst und seinen Schülern abgeleitet wurde. Nicht wenige seiner Phantasiegestalten stehen uns hier als Entwurfsskizzen gegenüber.
Neue Denkmalsaufträge drängteu wieder zur Konzentration seiner Kraft. Das Frankfurter Goetheprojekt hatte, ungeachtet des Dichters Beifall, zu keinem Resultat geführt. Auch mit seiner antikisierten Behandlung der Goethe-Schiller-Gruppe für Weimar, die später seinem Lieblingsschüler Rietschel übertragen wurde, konnte ernichtdieZustimmung der maßgebenden Faktoi'en finden. Um so erfreulicher war bei der Durerstatue in Nürnberg, dem ersten deutschen Nationaldenkmal, das einem Manne aus dem Volke galt, die allgemeine Zustimmung. Auch daß dieser Erzguß durch Burgschmiet in Nürnberg so ausgezeichnet geriet, ist wohl zugleich Rauchs Verdienst, wenn man seine voraufgegangenen Ansti’engungen zur Wiederbelebung des Kunstgußes und sein erfolgi’eiches Zusammenwirken mit Stiglmaier in München, mit Hopfgarten und Fischer in Berlin und Friebel in Lauchhammer in Erwägung zieht.
Nächst Dürer ragen aus seiner letzten Schaffenszeit um nur das Wichtigste zu nennen — die charaktervollen Gestalten Kants in Königsberg i. Pr., Thaers in Berlin hervor, und die beiden neben Blücher am Opernplatze daselbst aufgerichteten Statuen von Gneisenau und York, der mit dem Ausdi'uck der Entschlossenheit ein echtes Bild seinei heroischen Epoche gibt. Die Auffassung von Gneisenau, der ganz Aktion ist, widerspricht seinem statuarischen Altersstil und beweist einen Eingriff von Oben in seine künstlerische Entschließung. Wie denn auch
£ <1
i«
i* ■]