Heft 
(1915) 23
Seite
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Gottfried Arnold.

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Gottfried Arnold.

Von B. Haase, Qberlehmin in Perleberg.

\or nun 200 .Jahren ist in dem märkischen Städtchen Perleberg ein Mann aus dem Lehen geschieden, der nicht nur Theologie und Kirche seiner Zeit aufgeregt, sondern auch die Nachwelt nachhaltig beeinflußt hat. Das war Gottfried Arnold. Mehr als 50 bedeutungsvolle Werke hat er in die Welt hinausgehen lassen, die, jedes einzelne, große Bewegung hervorriefen: viel verehrt ward er, aber auch grimmig, unversöhnlich gehaßt. Aus dem unbeschreiblich starken, vielstimmigen Für und Wider seiner Person und Geistesrichtung, aus der Fülle seiner Werke und dem Wirrsal der Kampf- und Angriffschriften wider ihn heraus ein un- paiteiisches und klargeschautes Bild des Vielgeliebten und Vielgehaßten zu schaffen, hat schon 1873 L)r. Frauz Dibelius unternommen, der einst Dozent an der Berliner Universität und dem Kgl. Dom-Kandidaten-Stift war. Seinem Gelehrtenfleiß sfanden außer den selten gewordenen Werken Arnolds viele bisher unbekannte und später verschollene Schriften zur Verfügung, so daß wir in diesem verdienstvollen Werk die beste Dar­stellung des Lebens und der Bedeutung Arnolds besitzen.

Auf Gottfried Arnold paßt das bewährte Bibelwort auf des Großen Friedrich Gedenksäule in TamselEs ist ein köstlich Ding einem Manne, daß er das Joch trage in seiner Jugend. Hart war die Kindheit des am 5. September 1666 geborenen ersten Kindes des spärlich besoldeten 6. Lehrers der Lateinschule zu Aunaberg in Sachsen. Siebenjährig verlor er die Mutter, dreizehnjährig mußte er durch Stundengeben verdienen helfen, statt die eigene Ausbildung fördern zu dürfen. Durch frühe Selbständigkeit, durch angestrengtes Arbeiten auf dem Gymnasium zu Gera unter den allerdürftigsten Verhältnissen ward der fromme Jüng­ling zum in sich gekehrten, zum einsamen Menschen. Sein Sehnen nach Geist und Wahrheit, sein Durst nach tieferer Erkenntnis ward nicht gestillt, als er sich vollen Herzens der Theologie hingab; denn das einst vom Lebenswasser über(|uellende Wittenberg war die Stätte ödester Buchstabentheologie nachlutherscher Zeit geworden. Aus Tholucks Akademischem Leben kann mau von dem wüsten und seichten Studenten­leben jener Zeit, von dem verknöcherten Gelehrtentum vieler Dozenten, von den trocken abstrakten Predigten lesen, wodurch Begabte und nach ihnen alle, die sich nach neuem frischen Geistesleben sehnten, zu Vor­läufern des Pietismus wurden. Es war wie ein Wunder, daß in diesen Zeiten tiefster geistiger und leiblicher Not nicht die Universitäten ver­dorrten, da z. B. 1640 in Greifswald weder ein Professor noch ein Student der Theologie zu finden war. Das Volk besuchte viele und lange Gottesdienste a o Sonn- und Wochentagen, auf der Kanzel wurde viel gestiitten, viel ödes Bnchstabenwerk dargeboten, unter der Kanzel viel geschlafen.