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E. Hatte
Arnold gewann weder mit seinen Studiengennsseu, noch mit seinen Lehrern Fühlung. Unter Entbehrungen rang er sich einsam und mühselig durch die Studienjahre. Scharfen Blicks erkannte er die Schäden der Kirche und ward, seiner Neigung und Anlage gemäß, Historiker des christlichen Altertums. Für ein praktisches Kirchenamt konnte er sich nicht entschließen; die Hohlheit des Buchstabens verachtete, harten Gewissenszwang fürchtete er. Finsterstem Aberglauben opferte man l ausende von Frauen, schrieb man doch Hunger und teure Zeit, Feuersund Wassersnot, ansteckende Krankheiten und Seuchen den Hexen zu. 1640—1651 wurden allein in der Grafschaft Neiße 1000, in Osnabrück in dem einen Jahr 1640 80 dieser Unglückseligen am Marterpfahl verbrannt. Daneben stand das wüste Schwelgen — am Tag des Herrn mehr Schuld und Schande als an den Wochentagen — in jenen Lastern, gegen die auch heut wieder alle deutschen Volksfreunde die Stimme erheben. Dagegen sah und malte Gottfried Arnold das harmonische, schlichte Liebesieben der ersten Christen in den lichtesten Farben gegenüber der als unverbesserlich düster angeschauten Gegenwart. Durch sein zurückgezogenes Leben ging ihm mit der Plntfernung vom Laster auch das Bildungsmittel des Verkehrs verloren; dazu wuchs sein Ehrgeiz. Sehr bald schon errang er die Magisterwürde, deren er sich später aber als einer unchristlichen Hochmutstat so schämte, daß er den rechtmäßig erworbenen Magistertitel seinem Namen nur in seinen Erstlingswerken voraugesetzt hat. Diese Schriften behandelten die ersten Märtyrer und überhaupt die älteste Christenheit, darunter war eine deutsche Ausgabe der Briefe des Barnabas und des Giemen- Romanus. Aber Arnold mußte einem Brotquell zustreben. Der edle Philipp Jakob Spener ward ihm zum väterlichen Freund, dem er sich mit völliger Hingabe anschloß. Spener sah gleich ihm die Schäden der Kirche: aber er wandte sich nicht verbittert und hoffnungslos ab, sondern er baute an dem „Kirchlein in der Kirche“ und brachte wie sein Freund und Schüler A. II. Francke das Bibelstudium und statt der Rechtgläubigkeit die rechte Gläubigkeit wieder zu Ehren. Daß wie einst «las Buchstabenwesen erstarrte, nach ihm der Pietismus in Unwissenschaftlichkeit und Frömmelei ausartete, war nicht in Speners Geist. Spener verschaffte dem jungen Arnold eine Erzieherstelle, zu der der herbe, an selbständige Abgeschlossenheit Gewöhnte jedoch wenig paßte. Als Speners sänftigender Einfluß nach dessen Berufung an die Nikolaikirche zu Berlin aufhörte, kam es zum Bruch. Der treue Spener verschaffte ihm eine ähnliche Stelle im Hause des Stifthauptmanns von Stammer in Quedlinburg. Hier stärkte sich sein Vorsatz, kein geistliches Amt in der geistverlassenen Kirche anzunehmen. Da brachte ihm nach 4 Jahren sein erstes größeres Werk plötzlich die Berufung zum Geschichtsprofessor nach Gießen. In diesem Buch „Die erste Liebe, das ist wahre Abbildung der ersten