Heft 
(1915) 23
Seite
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E. Hatte

Arnold gewann weder mit seinen Studiengennsseu, noch mit seinen Lehrern Fühlung. Unter Entbehrungen rang er sich einsam und müh­selig durch die Studienjahre. Scharfen Blicks erkannte er die Schäden der Kirche und ward, seiner Neigung und Anlage gemäß, Historiker des christlichen Altertums. Für ein praktisches Kirchenamt konnte er sich nicht entschließen; die Hohlheit des Buchstabens verachtete, harten Gewissenszwang fürchtete er. Finsterstem Aberglauben opferte man l ausende von Frauen, schrieb man doch Hunger und teure Zeit, Feuers­und Wassersnot, ansteckende Krankheiten und Seuchen den Hexen zu. 16401651 wurden allein in der Grafschaft Neiße 1000, in Osnabrück in dem einen Jahr 1640 80 dieser Unglückseligen am Marterpfahl ver­brannt. Daneben stand das wüste Schwelgen am Tag des Herrn mehr Schuld und Schande als an den Wochentagen in jenen Lastern, gegen die auch heut wieder alle deutschen Volksfreunde die Stimme er­heben. Dagegen sah und malte Gottfried Arnold das harmonische, schlichte Liebesieben der ersten Christen in den lichtesten Farben gegen­über der als unverbesserlich düster angeschauten Gegenwart. Durch sein zurückgezogenes Leben ging ihm mit der Plntfernung vom Laster auch das Bildungsmittel des Verkehrs verloren; dazu wuchs sein Ehr­geiz. Sehr bald schon errang er die Magisterwürde, deren er sich später aber als einer unchristlichen Hochmutstat so schämte, daß er den recht­mäßig erworbenen Magistertitel seinem Namen nur in seinen Erstlings­werken voraugesetzt hat. Diese Schriften behandelten die ersten Märtyrer und überhaupt die älteste Christenheit, darunter war eine deutsche Aus­gabe der Briefe des Barnabas und des Giemen- Romanus. Aber Arnold mußte einem Brotquell zustreben. Der edle Philipp Jakob Spener ward ihm zum väterlichen Freund, dem er sich mit völliger Hingabe anschloß. Spener sah gleich ihm die Schäden der Kirche: aber er wandte sich nicht verbittert und hoffnungslos ab, sondern er baute an demKirchlein in der Kirche und brachte wie sein Freund und Schüler A. II. Francke das Bibelstudium und statt der Rechtgläubigkeit die rechte Gläubigkeit wieder zu Ehren. Daß wie einst «las Buchstabenwesen erstarrte, nach ihm der Pietismus in Unwissenschaftlichkeit und Frömmelei ausartete, war nicht in Speners Geist. Spener verschaffte dem jungen Arnold eine Erzieherstelle, zu der der herbe, an selbständige Abgeschlossenheit Ge­wöhnte jedoch wenig paßte. Als Speners sänftigender Einfluß nach dessen Berufung an die Nikolaikirche zu Berlin aufhörte, kam es zum Bruch. Der treue Spener verschaffte ihm eine ähnliche Stelle im Hause des Stifthauptmanns von Stammer in Quedlinburg. Hier stärkte sich sein Vorsatz, kein geistliches Amt in der geistverlassenen Kirche anzu­nehmen. Da brachte ihm nach 4 Jahren sein erstes größeres Werk plötzlich die Berufung zum Geschichtsprofessor nach Gießen. In diesem BuchDie erste Liebe, das ist wahre Abbildung der ersten