Heft 
(1915) 23
Seite
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Gottfried Arnold.

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Christen nach ihrem lebendigen Glauben und heiligen Leben malte er mit den Sehnsuchtsfarben seiner heißen Seele die ersten Christen so, wie er sie sich wünschte und wie sie ihm erschienen, und zeigte dem lebenden Geschlecht sein herrliches, sein weltenfernes Urbild. Dies Werk machte Arnold berühmt; viele, auch Spener, schätzten es hoch, obwohl mancher die geschichtliche Treue vermißte. Durch sein akade­misches Amt sah sich Arnold in ein buntes Leben gerissen, das seinen Anschauungen widersprach. In der Welt der Welt zu entfliehen ver­mochte er nicht, deshalb legte er plötzlich zu allgemeiner Verwunde­rung sein Amt nieder und kehrte nach Quedlinburg zurück. Seine Freunde priesen seine Tat, seine Feinde griffen ihn und seine wissen­schaftliche Tüchtigkeit heftig an. Als Gast des Hofdiakonus Sprögel, seines treuen Gesinnungsgenossen, vertiefte er sich in wissenschaftliche Arbeiten. 1599 erschien Teil 1 und II, 1700 Teil III und IV seines Hauptwerkes Unparteiische Kirchen- und Ketzerhistorie, das einen un­geheuren Sturm entfesselte; sprach doch Arnold als Erster kühn und unverhohlen aus, manch Frommer sei unschuldig geschmäht worden, und gerade Hirten und Bischöfe, Konzilien und Synoden hätten die fromme Herde verfolgt. Ganz neue Bahn wies er der Beurteilung der Ketzer, nicht die Schmähschriften der Feinde, nein, ihre eigenen Werke legte er und nach ihm die spätere Forschung zugrunde. Goethe betont inDichtung und Wahrheit (Teil H, Buch 8) den Einfluß dieses Buches auf ihn selber. Zahlreiche Urkunden, ausführliche Zitate aus den Schriften der Ketzer, die sonst schwer zugänglich oder ganz verloren sind, erhöhen den dauernden Wert des Meisterwerkes, das seinem Namen Unsterblichkeit verlieh. Mit der ehrlichen Absicht, unparteiisch zu sein, fand er gerade an den verurteilten Ketzern die wahren Christen, wie er bei den Pietisten seiner eigenen Zeit die rechte Herzens­frömmigkeit wahrnahm. Der Kirche Schäden geißelte er schonungslos. Eine Flut von Gegenschriften, Reden von Kanzeln und Kathedern wogte heran zur Verteidigung der hart angegriffenen Kirche. Noch 1745, also mehr als 30 Jahre nach Arnolds Tode (1714), verdammte eine umfang­reiche Widerlegungsschrift das Buch in Grund und Boden. Die Mar- burger Universität litt um ihn; seine Fehler hob man zum Riesengroßen, gegen das Wohlbegründete schloß man die Augen. Auch Verteidiger fand Arnold, und nicht nur unter den Pietisten. Thomasius in Halle pries das Werk hoch; aber Spener ließ sich nicht bestimmen, das viel an- gefochtene Werk überhaupt zu lesen; er wollte sich jedes Urteils ent­halten können' Leider ward Arnolds gesunder Pietismus durch den nahen Verkehr mit Schwärmern auf die abschüssige Bahn eines krank­haften Mystizismus gerissen, wovon sein höchst wunderliches, phan­tastisch-mystisches WerkDas Geheimnis der göttlichen Sophia Zeugnis ablegt. Er bereute später selbst, es geschrieben zu haben. Unendlich