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Paul Alfred Merbach.
So oft verkannt im Reiche der Kamöne,
Wo rein der Gott des Sängers Brust bewohnt,
Wähnt mißverstanden er auch diese Töne.
Da weintest Du — Du ihnen eine Thräne, it
Der Sänger sah’s, er ist belohnt. —
Nach den Chroniken war der Held Vater nur einer Tochter, so hält es auch Maltitz . . . Kleist führt mehrere Kinder ein. Historisch ist im Drama ebenso der volle Name und Wohnort von Kohlhas’ Gegner Junker Günther von Zaschwitz auf Melaun; auch in dem Ausgangspunkte des Kampfes ums Recht schließt sich Maltitz näher an die Geschichte au, indem er die Rappen unter dem Vorwände zurückzuhalten befiehlt, daß sie gestohlen seien, wogegen Kleist sie als Unterpfand für Lösung des Ausfuhrpasses ihrem Besitzer entreißen läßt; getreu nach den Chroniken formuliert Maltitz die Bedingungen der Wiedergabe:
Sie steh’n zum Pfände hier, bis er erwiesen,
Daß ehrlich er im Ausland sie gekauft.
Unmittelbar an die Tradition gemahnt noch die Charakteristik des Roßkamms:
Es soll ein Mann absondern Wesens sein;
Gar hoch studirt; bewandert im Latein
Und viel belesen auch in alten Schriften.
Beide Dichter übernehmen den Tatbestand, der hier ja nicht erörtert zu werden braucht, aus den Chroniken; nur tritt Maltitz in der Ausführung wie auch in Stimmung und Milieu ganz in Kleists Baun. Luthers Eingreifen ließ sich Maltitz nicht entgehen, wenn er auch es nur referiert, ohne daß also der Reformator in Persona auftritt und ohne daß er dessen Sendschreiben an Kohlhas erwähnt. Gegen die Geschichte aber gestaltet Maltitz von vornherein das Verhältnis seines Helden zum brandenburgischen Kurfürsten feindlich, so daß für ihn die Episode des .Knechtes Nagelschmidt, die Kleist dann frei ausgestaltete, wegfiel und es für ihn keines weiteren Mittels bedurfte, um die in Berlin geschehene Hinrichtung zu erklären. Kleist fand in den Rudimenten der Geschichte und Überlieferung die Gelegenheit und die Möglichkeiten zu reicher, freier Ausgestaltung; der seelische wie geistige Epigone Maltitz aber wurde immer wieder in die Gedanken-Bahn und Gestaltenwelt des Novellisten zurückgeschleudert, so daß sich nach dem Vorbilde der Erzählung eine Fülle von Einzelscenen des Maltizschen Trauerspieles formten. Inhalt und Form stehen bei Maltitz unter solchem Einfluß. Kleists plastische Einbildungskraft hat sich die Spanne Zeit vom Zurückhalten der Rappen bis zu Kohlhas’ Wiederkehr realistisch ausgemalt: er führt einen Knecht ein, der gegen die schlechte Behandlung der Pferde so lange protestiert, bis mau sich des unbequemen Aufpassers in roher Weise entledigt; diesem Kleistschen Herse entspricht bei Maltitz