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Paul Alfred Merbach.
Wilhelm Paul Graft' (1845/1904) hat 1871 seinem „Trauerspiel in fünf Handlungen“ — und in Versen — eine längere Vorrede vorausgeschickt, in welchem er naclnveisen will, daß seiner Arbeit „eine weitere Bedeutung zu komme als einer bloßen Dramatisierung der Kleistschen Novelle“. Freilich ist diese die alleinige Stoffquelle, wenn Graff auch nicht mit Unrecht vielfache Abweichungen von Kleist in der genannten Vorbemerkung betont, die sich teils aus den verschiedenen Bedingungen und Voraussetzungen der novellistischen und dramatischen Dichtkunst, teils aus verschiedener Auffassung der Handlung und Charaktere herleiten lassen. Es ist gut beobachtet, daß der Titel des Stückes den Helden Michel Kohlhas nennt und daß die volle Nameusform Michael erst einsetzt, wenn Kohlhas selbst sich in Anlehnung an den Erzengel so nennt. Mit künstlerischer Berechnung ist das Drama um Luther herumgeschrieben, so daß sein Eingreifen nur berichtet wird, ohne daß er selbst als dramatis persona auf tritt; wenn sich Graff damit auch die Gegenüberstellung von Luther und Kohlhas entgehen lassen muß, so ist hier doch die Fülle lutherischer Beziehungen größer als in allen anderen Kohlhasdramen. Der Roßkam bezeichnet Luthers Vater als einen guten Freund des seinigen; Luthers tapferes Verhalten auf dem Regensburger Reichstage veranlaßt Kohlhas zu einem Freudenfeste. Tief greift der Glaubensgegensatz in die Handlung ein: die Partei des Junkers macht die
Reformationsbewegung für die bürgerliche Mißachtung des Adelsübermntes verantwortlich, während die Freunde des Roßhändlers von Luther die Lehre annehmen, daß höher als Adelsrecht die Menschenliebe steht. Tetzel wird eingefnhrt, um sich von Kohlhas mit Humor düpieren zu lassen. Auch sind hier beide Kurfürsten auf die Bühne gebracht (eine von E. Wolff a. a. 0. erwähnte Bühnenbearbeitung des Stückes, wo diese Rollen zusammen gelegt sein sollen, ist mir nicht zu Gesicht gekommen) und manche wörtliche Anklänge an die Kleistsche Novelle,
von dem weder der Verleger noch die Familie des z. Z. auf einer Vortragstournee in Amerika begriffenen Verfassers ein Exemplar besitzen, ist mir durch die schon oft bewiesene (tüte des Herrn Hofrat Müller, Verwaltnngsvorstand am Hoftheater in Braunschweig, aus der Bibliothek dieser Bühne zugänglich gemacht worden. Der Charakter dieser Bearbeitung des Kohlhas-Stoffes wird durch eine Bemerkung auf dem Titel sofort deutlich: mit vollständiger Benutzung der A. L. Schenk'schen Bearbeitung von H. v. Kl.’s hist. Novelle; ergänzend treten dazu etliche Sätze aus der Vorbemerkung: Schenks Kohlhas war in den 70er Jahren noch vielfach im Rerpertoir und erschien namentlich auf Volksbühnen und bei kleineren Theatern immer wieder; das galt mir als Beweis, daß das Stück einen guten dramatischen Kern enthalten müsse ... als Ende 1885 ein langgehegter Plan, den Kohlhaas dramatisch zu gestalten wieder in mir auf tauchte, verschaffte ich mir das Werk. Es rechtfertigte poetisch meine Erwartung, war jedoch in der äußeren Form mit genialer Hast hingeworfen. Die Exposition setzte volle Bekanntschaft mit dem Stoffe voraus und namentlich fehlte eine Motivierung der Handlungsweise des Junkers völlig; mehr kühn hingeworfene Bilder als eine geschlossene Handlung, ohne konsequente Steigerung . . . der Schluß des Stückes wirkte durch eine unglückliche Wendung fast