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Paul Alfred Merbach, Michael-Kohlhas-Dramen.
von Strindbergs Nachtigall von Wittenberg —: Weitbrecht zeichnete hier den überlegenen realpolitischen Geist, der immer nur die Wahrheit wollte und dennoch jede Form der Wahrheit von sich stieß. 10 )
Dem „Genius Kleists“ widmete 1905 Gertrud Prellwitz ihr Prosa- Trauerspiel Michel Kohlhas (es blieb für die Folgezeit in formaler Beziehung überhaupt bei der Prosa), das zunächst beide Kurfürsten wieder einführte, während Weitbrecht darauf völlig verzichtet hatte und auch eine neue Figur hinzufügte, eiue junge Verwandte des Junkers Gunhild von Waldburg, welche als Personifikation ritterlichen Übermutes in geschickten Gegensatz zu Kohlhas gestellt ist. Im Übrigen folgt Gertrud Prellwitz genau dem Gange der Kleistschen Novelle und bemüht sich, durch Knappheit der Sprache und Schlagkraft des Ausdruckes ihrem großen Vorbilde recht nahe zu kommen. Rudolf Holzer goß sein fiinfaktiges Prosadrama Hans Kohlhase (1909) in einen altertümlichen Stil; der Ton des Götz, in ein älteres Idiom umgesetzt, ist mit Glück angestrebt; so erreicht er in wichtigen Punkten für die Lektüre den nüchtern-wuchtigen Eindruck der Chronik. Die meisten Scenen sind theatralisch wirksam gestaltet, die scenische Umbildung der Vorgänge ist gelungen, zumal im ersten Akt, der die Beschlagnahme der Rosse kurz, energisch und mit viel Kampfstimmung schildert. Holzer hat erkannt, daß das Grundproblem des Kohllias-Stoffes auch einer rein dramatischen Entwicklung und Lösung fähig ist, er behält aber die epische Durchführung des Stoffes durchaus bei und übersetzt sie nur geschickt ins Scenische. 11 )
Dasselbe tat Ernst Geyer in seinem Michael Kohlhas (1910), der noch dazu auf den Titel die Worte setzte „Kleistens Novelle dramatisiert“ und bei diesem Umformungsprozeß so weit ging, daß -er die Dialogstellen der Vorlage wörtlich übernahm und sie mit seinen eignen Zutaten vermengte. So erreichte Geyer allerdings einen möglichst engen Auschluß
10 ) Das vieraktige Lustspiel „Michael Kohlhas“ von Cory Towska, das am 2. Juni 190:5 im Prager Neuen Deutschen Theater uraufgefiihrt wurde, hat, wie aus dem mir von Herrn Dramaturgen Hans Demetz frenndlichst zur Verfügung gestellten Buche hervorgeht, stofflich mit Kleists Novelle gar nichts zu tun; es ist ein im Berlin der Gegenwart, spielender nichtssagender Schwank, in welchem der Roßkam nur als der Schatten eines Symboles verwendet wird. Das Stück könnte ebenso gut Der Badeofen hei den, der in der Wohnung des Professors für deutsche Literatur. Dr. Herrn. Vulpius, vor Frost, geplatzt ist und für dessen Reparatur der Hausherr, der außerordentliche Professor für dasselbe Fach, Dr. Maibauer, aufkommen soll; dieser weigert sich aber, weil Vulpius die in seiner Maibauers — Kleist-Biographie aufgestellte Hypothese, daß nämlich die Kohlhaas- Novelle noch in einer anderen verlorengegangenen Fassung ursprünglich existiert habe, als „literarhistorische Hornviecherei“ bezeichnet hat. Es entsteht um diesen Badeofen ein Prozeß, wobei Vulpius' Frau Antoinette die Rolle der „Kohlhäsin“ ausübt, die zum Schluß erkennt, daß Michael Kohlhaas nur ein „Gleichnis“ sei wie alles Vergängliche. Ein näheres Eingehen auf das Stück erübrigt sich damit.
“) Über das Holzersche Stück, das im Weimarer Hoftheater am 12. Juni 1909 nr- anfgefilhrt wurde, vergl. die Düsseldorfer Zeitschrift Masken, Nr. 78, vom 2. Juli 190(1.