Heft 
(1916) 24
Seite
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Kleine Mitteilungen.

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ans derselben Zeit gegenüberstellen, die am Tegeler See und in einem Wäldchen in und bei Berlin empfangene Eindrücke mit poetischer Kunst festhalten. Sie beweisen, daß die Schönheiten unseres Landes die Vorein­genommenheit des Schweizer Dichters gegen das norddeutsche Wesen doch bezwangen und eine tiefe Aussprache bewirkten.

Die Bilder von der Cantianstraße, welche Herr Prof. Pniower in der letzten Sitzung der Brandenburg^ (15. 9. 15.) vorlegte, haben in mir fast vergessene Jugenderinnerungen wachgerufen. Während meiner Studentenjahre (1858/1859) habe ich eine Zeit lang in der Cantianstraße gewohnt in einem der ersten Häuser vom Lustgarten aus gerechnet. Einige Häuser tiefer in die Straße hinein wohnte damals der berühmte Chemiker Heinrich Rose, der dort auch seinen Hörsaal und sein Laboratorium hatte. Bei diesem hervorragenden Gelehrten verbarg sich die Gelehrsamkeit hinter einem einfachen, man möchte sagen, altvaterischen Wesen, ganz im Gegensatz zu seinem nicht minder berühmten Kollegen Mitscherlich, der durch ein feines, weltmännisches Wesen, einen vornehmen Vortrag und durch seine eleganten Experimente sich auszeiclinete. Ich erinnere mich noch einer recht komischen Szene in einer Roseschen Vorlesung: R. wollte uns die Einwirkung von Schwefelammon auf irgend eine Metallösung (vielleicht Mangan) demon­strieren und kündigte einen hellfarbenen Niederschlag in dem Reagenzglase, das er in der Hand hielt, an ein tintenschwarzer Niederschlag zeigte sich den Blicken der Studenten. Die hervorbrechende Heiterkeit des Auditoriums und das hilflos verlegene Lächeln des nicht minder überraschten Experimentators gaben ein kaum zu beschreibendes Bild! Der große Ruf H. Roses, na­mentlich als Analytiker er hat ein umfangreiches, grundlegendes Handbuch der chemischen Analyse veröffentlicht lockte eine Menge Studierende in seine Hör- und Arbeitsräume, und da auch die in Berlin studierenden Pharma­zeuten bei ihm hörten, so kam durch Roses Schüler ein ziemlich reger Verkehr in das sonst etwas abseits gelegene Sträßchen. Einen Verkehr ganz ver­schiedener Art brachte der Umstand mit sich, daß an der Spreeseite der Cantianstraße sich die Anlegestelle der Stein- und besonders der Getreide­kähne befand, die hier ihrer Entladung harrten. Eine große Zahl von Last­wagen sammelte sich täglich am Ufer, um den Inhalt der Kähne in die Speicher und Magazine überzuführen, und man hatte hier Gelegenheit, die gewaltigen Gestalten und Leistungen der Sackträger zu beobachten, wie sie uns Gustav Frey tag in seinemSoll und Haben aus dem Breslauer Kauf­hause so drastisch schildert. Gegenüber der Ausladestelle, in meinem Wohnhause, befand sich ein Kellerlokal (Bums im Berliner Sprachgebrauch), in dem die erschöpften Hünen Ruhe, für ihre durstigen Kehlen eine aus­gezeichnete Weiße (kühle Blonde) und für ihre hungrigen Mägen den nötigen Zubiß fanden. Hier führten die beiden auffallend hübschen Töchter des Wirtes das Regiment, und es war erfreulich zu sehen, mit welchem Respekt die jungen Mädchen von ihren derben Gästen behandelt wurden; sie waren tabu! Sie haben sich später an reiche Fuhrherren, die hier geschäftlich zu tun batten, verheiratet. Heutzutage ist die Cantianstraße aus dem Berliner Straßenbilde verschwunden, und der heutigen Bevölkerung ist kaum noch