Kleine Mitteilungen.
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Der liier zu Potsdam in der Yorkstrasse wohnende Hofphotograph Sello züchtete mit seinem alten, längst verstorbenen Vater, dem ehemaligen Böttchermeistcr Sello, in Hof und Garten einmal auch Schildkröten, indem er aus bei ihm gelegten Eiern junge Brut erzielte.“
Bis hieher unser Herr Hofgärtner.
Zu einer Zeit, die fitst ebenso weit in die Anfänge des Jahrhunderts zurückrcicht, wie die, welcher sich unser Freund Reuter erinnert, wurden in mein elterliches Haus in der Französischen Strasse zu Berlin zu vielfachem anderem auf weitläufigem Gehöft gepflegten Getier bisweilen auch Schildkröten gebracht, die man zu der Zeit als keine besondere Seltenheit ansah. Es galt der Glaube, eine solche Amphibie könne ohne Schaden für ihr leibliches Wohl einen starken Mann auf dem Rücken tragen, ja sogar einen Wagen über sich hinfahren lassen. Die Probe, allerdings unglücklich ablaufend, habe ich selbst machen sehen, indem ein stämmiger Knecht sich mit voller Wucht auf eine Schildkröte stellte. Wie voraussichtlich, quoll sofort Blut zwischen Ober- und Unterpanzer hervor und in kurzer Frist trat der Tod als Folge so gröblicher Misshandlung ein. Derselbe irrtümliche Glaube dauert noch heute fort; aber ein Glück für die Humanität wäre es, wenn die Beweisführung für oder dawider unterbliebe.
Nicht nur die grösseren Seen von Berlins Umgegend, auch die oft sehr kleinen Wasserbecken des Teltow und Barnim gelten als Wohnorte des in Rede stehenden Tieres. Ich meine jene überaus reizvollen Teiche, schwer auffindbar in ihren Gründen, wahrhafte Wasseroasen inmitten der Ackerwüste endloser Feldflur, die Wilibald Alexis gekannt hat und zu denen auch mein Gemüt melancholischer Erinnerung voll so gern wieder zurückkehrt. Wie entzückte einst den jugendlichen Pttanzenfreund, an ihnen herborisierend, neben dem idyllischen Reiz der Landschaft die Littoralfiora ihres selten von anderem Menschenfuss als von dem meist schuhlosen eines Hütejungen betretenen Ufers. Ihre Tiefe sollte, so liiess es, die wahre und recht eigentliche Schildkrötenherberge sein. Ganz speziell, ob mit Recht oder mit Unrecht, wurde dies von dem mysteriösen Wasser der „blanken Hölle“ erzählt, die sich, halb Pfuhl, halb See, der Sage nach unergründlich, in einer tiefen Falte der Gemarkung zwischen Schöneberg und Tempelhof verbarg.
Jetzt liegen viele dieser Diluviaibecken, vielleicht in Folge meteorologischer Veränderungen, trocken, andere sind vermöge der Bebauung in Villengrundstücke, z. B. in solche von Südend und Steglitz, eingehegt und durch Bepflanzung ihrer Ränder unkenntlich geworden. Bis an den äussersten Wasserbord der noch frei vorhandenen aber pflügt jetzt der Bauer, so dass nichts mehr von jenen grünen Rasenbreiten übrig geblieben ist, auf denen sonst jeder Frühling gelbe Schlüsselblumen, die Primula veris in verschwenderischer Fülle aufspriessen liess. Doch wie Jensen sagen würde, alles dies sind Dinge „von jenseit des Wassers“.
Die blanke Hölle ist wohl noch da, ja sogar mit bis jetzt noch nicht parzellierten Ufern. Thöricht aber wäre es, an derselben nach dem schlank und klug aus der Flut auftauchenden Köpfchen der Schildkröte heut noch ausschauen zu wollen, wohl in gleichem Grade unnütz, als wenn man etw'a dort nach den Relikten einer jener Nachbarschaft früher eigenen überaus
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