Heft 
(1893) 2
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Die Lutchen der Niederlausitz.

verstand man unter diesen Thränennäpfchen jene flachen Trinkschalen mit grossem Henkel aus vorgeschichtlicher Zeit, den ersten 5 Jahr­hunderten des ersten Jahrtausends vor Christus, also nachweisbar lange germanischer Zeit, angehörig.

Was den Namen der Lutchen anbetrifft, so heissen sie lausitz­serbisch, im sogenannten Wendisch, ludki, der einzelne ludk. Ludki gilt als die Verkleinerungsform vom slavischen Worte lud, das Volk. Sie heissen also das kleine Volk, die kleinen Leute, wie auch die Zwerge im Deutschen so genannt werden. Im Wortlaut wie Sinn entspricht lud, ludki unsrem Leute, Leutchen, in früheren Jahrhunderten auch gesprochen lut, althochdeutsch und sonstwie liut. Im Mittelalter sass im östlichen Mecklenburg und im westlichen Teile von Pommern eine Völkerschaft, deren Nachkommen noch heute da leben, die genannt wurde Luitiri, Liutiri, Leutiri. Es ist das alles gleich, wie z. B. Liutpold, Luitpold, Leopold. Schneidet man die slavische Endung izi weg, so bleibt liut, das Volk, die Leute. Die allgemeine Bezeichnung Volk, Leute ist öfter Sondername für ein bestimmtes Volk geworden. Es scheint also der Name liut irgendwie deutsche Beziehungen bei jener Bevölkerung anzudeuten. Der Geschichtschreiber Ordericus Vitalis, ein Engländer von Geburt, berichtet, dass unter den Luitizen die germanischen Gottheiten Wodan, Thor und Freia verehrt wurden. Es bestand dem­nach mindestens ein Teil dieser Bevölkerung aus Germanen, die ihr germanisches Volkstum bewahrten, obwohl sie ihrepolitische Selbst­ständigkeit an die Slaven oder Wenden verloren hatten, die damals den grössten Teil von Norddeutschland beherrschten. Es ist das Verdienst von Ludwig Giesebrecht, dass er als einer der ersten mit voller Klar­heit diese und ähnliche Bevölkerungsverhältnisse erkannte und seine Ansichten vor nunmehr fünfzig Jahren öffentlich aussprach in seinem vortrefflichen Geschichtswerk über die Wenden').

Nach den Lutchen heissen eine Anzahl Berge, d. h. Hügel, Er­hebungen in der Niederlausitz Lutchen berge, ludkowe gory. Wenn man indessen an die Grenzen der Lausitz kommt oder in deutschredende Bezirke, so muss man in jedem einzelnen Falle prüfen, ob der Berg genannt ist nach den ludki oder in der Zusammensetzung das platt­deutsche Wort liit, lut, lutken vorliegt. So hiess z. B. das bekannte Dorf Klein-Maclmow bei Teltow urkundlich 1480 Lutken-Magenow, da­gegen 1375 Machenow parva 3 ). Es könnte jemand die Behauptung auf­werfen, dass der Name ludki überhaupt nicht slawisch sei, sondern das deutsche Wort Lutken, die Kleinen, mit der slavischen Endung i statt der deutschen en, was dem Wesen der kleinen Leute, der Zwerge auch

1) Ludwig Giesebrecht. Wendische Geschichten. Berlin. 1843. 2) Bergau, Inventar der Kunstmaler in der Provinz Brandenburg.