Die Lutchen der Niederlausitz.
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eben kein „ehrliches“ Begräbnis, um in der Dorfsprache zu reden, vom Standpunkte christlicher Auffassung aus kein christliches. Dahin gehört auch der tote Mann. So nannte und nennt das Volk noch heute einen Grabhügel, der sich gebildet hat im Laufe der Zeit aus Reisern, auch wohl Steinen, die Vorübergehende frommen Sinnes hingeworfen haben an eine Stätte, wo dereinst jemand gewaltsam erschlagen, ermordet wurde. Es ist aber nicht allein Mitleid, weshalb man die Reiser hinwirft, sondern wesentlich Furcht vor dem Toten, der nicht eher Ruhe hat, als bis ihm dieses Grab wird. Auf dem Kirchhof eines pommerschen Fischerdorfs an der Ostsee sah ich einem Fischer, der beim Sturm in der See ertrunken war, ein vollständiges Grab zugerichtet, einen Grabhügel von Erde aufgeworfen und ein Holzkreuz errichtet, damit der Tote im geweihten Boden der Heimat seine Ruhestätte habe, der doch tief unten auf dem Grunde des Meeres lag. Noch heute in der Niederlausitz, wenn grosser Sturm ist, sagt man, wie auch anderwärts: „Es muss sich wohl jemand erhängt haben,“ weil der Teufel die Seelen im Sturme umhertreibt und auch im wütenden Heere des Gottes Wodan, oder der wilden Jagd die Scharen heidnischer Seelen im Sturme umher jagen. Denn was dem Christentum nicht zukommt, verfällt dem Heidentum.
Zweitens hat der Tote im Grabe keine Ruhe, wenn er auf Erden eine Schuld begangen und diese Schuld nicht gesühnt hat vor seinem Hinscheiden. Die Schuld drückt nach der sinnlicheren Auffassung des Altertums und auch der streng volksgläubigen Kreise unsres Jahrhunderts als eine thatsächlich schwere Last auf den Toten, die er allzuwälzen bemüht ist. So hörte ich selbst noch im Öberspreewald einen klugen Mann, einen Doktor (naturae causa!), der da glaubte, dass er viel zu leiden gehabt Zeit seines Lebens von Verwandten durch Hexerei am Vieh, sagen: „Was ich habe auf die geflucht, die müssen so bedeckt sein mit Flüchen, dass sie nicht werden aus der Erde ’rauskommen,“ nämlich aus den Gräbern am Tage des Gerichts. Für die Schuld werden Strafen verhängt von jener „unerforschlichen Macht“, wie schon Tacitus') die Gottheit der Germanen nannte; schwere für grosse Schuld, geringere für kleine. Man könnte vielleicht ein Art Totenstrafgesetzbuch zusammenstellen nach diesen Totenstrafen, das allerdings wesentlich abweichen dürfte von unsrem bürgerlichen Strafgesetzbuch. Es ist aber das Tröstliche im Volksglauben, dass keine Schuld so schwer ist, dass sie nicht gesühnt werden könnte durch aufrichtige Busse, wenn auch im Laufe unendlich langer Zeiträume. Es tritt damit der Volksglauben manchmal in Widerspruch mit menschlichen Satzungen. So wurde
1) Tacitus, Germania. IX: deorumque nominibus appellant secretum illud quod sola reverentia vident.