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Ein kleiner Berliner Friedhof a. D.
wusste er über Manches Bescheid was frühere Mitteilungen, u. a. die des Küsters Herrn Schneider, nur unvollkommen angedeutet hatten. Genannte Persönlichkeit möge unseren Dank dafür vermöge dieser Zeilen entgegen nehmen.
Nicht allzuviel ist über Örtlichkeit und Thatbestand zu melden, immerhin aber soll das, wiewohl nur flüchtig, Geschaute hier kurze Schilderung finden, wie weit es auch obliegen mag von dem melancholischen Heiz, den unser Rodenberg dem Besuch verlassener altberliner Judenfriedhöfe, anderswo so schön „der gute Ort“ genannt, zu geben weiss. Mit noch grösserem Nachdruck drängen wir Erinnerungen zurück etwa an den Kreuzgang von Sta. Croee zu Florenz oder an jene uralten Grüfte, um deren hebräische Inschriften auf dem Udo der Sand der Adriadüne weht. Nein, zu solchen Höhen versteigt sich norddeutsche Alltäglichkeit selbst in ihren feierlichsten Stimmungen nun einmal nicht.
Wo immer indess Tote von des Lebens Mühe ausruhen, da ist und bleibt, ohne Unterschied von Religion oder Rasse, auch auf kleinster Scholle für die Lebenden stets eine geweihte Stätte.
Der Fleck, von dem wir reden, übrigens, wie schon aus seiner Bestimmung hervorgeht, ein korrekt christlicher, hat etwas Düsteres: abbröckelnde, rauchgeschwärzte Ziegelmauern, nur nach aussen hin durch eine Pergola voll von dem purpurnen Herbstlaube des wilden Weins etwas freundlicher gemacht; darüber hin zerstreut unregelmässig gestellte Gräber, durch Kpheu- hügel, Kreuze, oder anspruchsvollere Denkmäler bezeichnet, welche letztere grossenteils die vorwaltende Empfindung von der Vergänglichkeit alles Irdischen durch eigene Verwitterung verdoppeln zu wollen scheinen. Ausserdem, den Baumwuchs abgerechnet, durchaus nichts von jenem tröstlichen und lautlosen Hinübergleiten der Menschenschöpfung in das stille Walten wieder siegreich gewordener Naturkräfte, das hier nicht grundlos vorauszusetzen gewesen wäre; vielmehr stellenweis glatt geharktes Erdreich und frisch gestutztes Baumgeäst als redendes Zeugnis für nicht ganz erloschene, wenn auch auf ein Minimum beschränkte Grabpflege.
Litterarische Reminiscenzen folgen uns überall. Jener grosse Dichter und noch grössere Preussenfeind, Victor Hugo, hat einmal unübertrefflich - ( ' s steht wohl in seinen Miserables — ein kleines, seit Menschengedenken sich selbst Überlassenes Gartenfleckchen von Paris geschildert, das zu der vegetativen Üppigkeit der Wildnis freiwillig zurückgekehrt war, Alfons Karr hat Gleiches ausgemalt. Wie verführerisch wäre es gewesen, dergleichen un brandenburgischen Lokalkolorit wiederholen zu dürfen. Hier am Orte, indess, trotz langer Abgeschlossenheit, wider Erwarten keine Spur von etwas dein Ähnlichen. Noch nie hat wohl die Aufzählung der Flora eines Erdwinkels in so wenig Worte gefasst werden können. Epheu und Akazien, sonst buchstäblich nichts anderes als von Kastanie, Eiche, Ahorn und von der unvermeidlichen Traueresche je ein Stamm oder Stämmchen. Die offizielle Grabpflege ist bei uns so gewissenhaft, dass sie selbst in dieser scheinbaren Vernachlässigung keinen Grashalm, geschweige denn ein Unkraut aufkomnien lässt. Die ältesten der am Platze stehenden Akazien mögen ein halbes Jahrhundert oder wenig mehr zählen. Ein benachbarter Ailantus wirft nur den