Kin kleiner Berliner Friedhof a. I).
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Schatten seines schöngefiederten Laubes über die Mauer und wurzelt selbst bereits in profaner Adjacentenerde.
Längst schon ging das Gerücht, an dieser Stelle sei die geistvollste aller geschichtlich bekannt gewordenen Berlinerinnen, was doch viel sagen will, sei Rahel Levin bestattet und ruhe in einem Sarge mit Glasfenster über der Todten Antlitz; daneben ihr Gatte, der ebenso vielgelesene wie von der Loyalität streng beurteilte Varnhagen von Ense, während die Dritte im Bunde dieser Usthetisierenden Mauersträssler, Ludmilla Assing-Grimelli, bekanntlich ein Grab in italischer Erde vorgezogen hat. Offen gestanden, hatte für uns hierin die hauptsächliche Anziehungskraft der Lokalität bestanden. Gross war daher die Enttäuschung, als diese illüstren Ruhestätten des höchsten geistigen Epikuräismus eines jetzt schon alt erscheinenden Berlins umsonst gesucht wurden, wir vielmehr von dem Beamten die Kunde empfingen, dieselben befänden sich unzweifelhaft auf dem Dreifaltigkeitskirchhofe vor dem Halleschen Thore.
Und das hatten selbst die grössten Rahelverehrerinnen unserer Damenwelt nicht gewusst.
Trotz einer solchen bedauerlichen Abwesenheit birgt die kleine Begräbnisstätte genug des Bemerkenswerten. Sie ist voll von Hügeln und Grabmülern, unter welchen Sterbliche schlummern, die, ohne gerade viel Lärm in der Welt gemacht zu haben, doch einst Berliner oder fremde Grössen gewesen sind. Fast auschlicsslich ist die Aristokratie vertreten; aber auch bedeutende bürgerliche Kamen patricischen Klanges fehlen nicht ganz. Wahrscheinlich war es die gesellschaftliche Distinction dieser Heimgegangenen, welche dem Gottesacker als solchem das Dasein gefristet hat, als, vor langer Zeit schon, ausgedehntere Begräbnissplätze hier dem Neubau eines ersten Eisenbahnhofes weichen mussten. Sollte nicht dem allgemein als gültig angenommenen Axiom von der durch den Tod herbeigeführten Gleichheit aller Menschen auch hier der Zusatz anzureihen sein, dass hinsichtlich des Looses ihrer posfhumen Ruhestätten das Privileg der Vornehmheit weit über die Sterbestunde hinaus fortbesteht?
Eins entbehren die hier hinter Verschluss liegenden Grabstätten. Das ist die in frischen Blumen und Kränzen sich aussprechende Sorgfalt von der Gand nahestehender Lieben, welcher sie mittelst ihrer Lage unzugänglich bleiben müssen. Daher der Charakter augenscheinlicher Verlassenheit, ja sogar einer gewissen Wüstheit, der sich in dem Ganzen ausspricht. Öfters schon, wurde uns gesagt, haben Angehörige hier von Reinigung und Renovierung der Stellen mit dem Hüter des Orts gesprochen, fast immer jedoch scheint es beim guten Willen geblieben zu sein. Erschwerte Zugänglichkeit lässt es wohl hier eher noch als anderswo heissen: aus den Augen, aus dein Sinn. Nicht einmal die Blumen auf den Hügeln zu begiessen, wäre möglich.
Auch der Umstand, dass weniger eigentliche Familienbegräbnisse als diejenigen Einzelner vorhanden sind, mehrt vielleicht die Vernachlässigung u nd trübt das Bild, welches sich dein Auge hier darbietet, noch starker. Namhaft gemacht seien u. a. Begräbnissplätze der Familien Stolberg - V er- ni gerode, Dohna-Bernstortf, v. Schliefen, v. Pape, v. Reden, letzterer Name
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