Heft 
(1893) 2
Seite
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Die Hobenzollern in neuester Mythenbildung.

lesen hier und da Zeitungen, das stört aber nicht die ererbte, echt volkstümliche Neigung, sich selber die Geschichte, besonders die der Vergangenheit augehörende, nach Gutdünken zurecht zu denken. Hat sich die Sagenbildung im grossen und ganzen ändern müssen, gerade in bezug auf das Vaterland, seine Fürsten und Führer dichtet das Volk nach wie vor. Um dies in seiner vollen Wahrheit der Wahrheit einer selbständigen Entwicklung erkennen zu können, müssen wil­den Standpunkt des Völkerpsychologen einnehmen. Wir dürfen nicht als spasshaften Unsinn bezeichnen, was uns in schief gestellten, kreuz und ipier übermalten Bildern entgegentritt. Wenn tausende und tausende von Menschen, die sonst einen guten Verstand haben und ihren be­scheidenen Platz im Leben ausfüllen, so einig in bestimmter Richtung vorgehen, so ist das eben etwas, was Beachtung verlangt und als Glied einer langen Kette angesprochen werden muss.

Hierüber ausführlich zu reden, überlasse ich Männern der Wissen­schaft. Ich begebe mich in Gedanken nach Ostprenssen und bitte Sie, mir dorthin zu folgen.

Geichwie die Märker den Prinzen Friedrich Karl u. a. durch die Erzählung feiern: derselbe habe vor 1870, als Schäfer verkleidet, in Frankreich umherspioniert und dabei die für Kriegszwecke unterminierten Feldmarken kennen gelernt, durch welchen glücklichen Umstand der Sieg Deutschland gesichert wurde, ebenso knüpfen sich in meiner Heimat an diesen ritterlichen Prinzen, dort vom Volke kurzPrinz Karl genannt, allerlei sagenhafte Vorstellungen, woran jedenfalls des Prinzen häufiger Aufenthalt im Oberlande einen Hauptunteil hatte.

Zunächst sei der Heldensage gedacht: dass Prinz Friedrich Karl alsSchweinetreiber gen Frankreich zog.Der Prinz Karl war son treuer Krieger. Er spionierte viel herum. Aber einmal ists ihm doch schlecht bekommen; da war er beinah gefangen genommen. Er ging nämlich als Schweinetreiber rum; er kauft die Schwein und verkauft sie wieder. Wie er einmal so handelt, riss ihm »1er Wind den Mantel von der Brust. Da war gleich zu sehen, wer er war; und da musst er flüchtig werden. Einige behaupten, es soll in Königsberg oder in Danzig o»ler in Russland gewesen sein; aber es war in Frankreich, damals vor «lern Krieg 1870. Der Prinz soll das Umherwandern in Verkleidung überhaupt sehr geliebt haben. Unzähfigenmle erzählte mir eine Frau in unserem Dorfe folgende Geschichte:

Es ist noch nicht lang her, da war der Prinz Karl bei mir zum Besuch. Er reiste dazumal durch» Land. Er Ist ja öfters hier in dm' Gegend gewesen. Diesmal wars so im Frühling oder Anfangs Sommer. Ich war ganz allein zu Haus; un es war noch früh am Morgen. Die grossen Jungens waren in der Arbeit und die amlern Kinder in der Schul. Un ich sass am Wirkgestell an wirkt. Da kam von K. ein