Heft 
(1893) 2
Seite
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Die Hohenzollem in neuester Mythenbildung.

schied genommen hatte, und wo der Edelmann schon alles für den Mord vorbereitet hatte. Hier stellte sich der Jäger dem König in den Weg und offenbarte ihm das Ganze. Der König war darüber sehr erfreut und sagte:Mein Sohn, ich will dich für deine Treue begnadigen. Sag mir, was du haben willst!König Majestät, sagte der Jäger,hier am See liegt son nettes Gut mit Wald; das möchte ich haben.Das passt schön! sagte der König; das Gütchen gehört ins Königliche; und du sollst es haben! So bekam der Jäger das Gut und konnte mit seiner alten Mutter in das schöne Wohnhaus dort ziehn. Die Mutter führte ihm die Wirtschaft, und er ging fleissig auf die Jagd. Soweit war alles ganz gut; aber eines Tages sollte der Jäger ein Wunder erleben. Er stand nicht weit vom See, als drei schöne Mädchen mit Schwanenflügeln angeflogen kamen. U. s. w.

Dass es zur Zeit Friedrich d. Gr. für junge Mädchen noch Mode war, Schwanentlügel zu tragen, dürfte uns im allgemeinen unbekannt geblieben sein. Mir können uns hier auch nicht bei solchen Licht­gestalten einer zwar langsam, aber ununterbrochen fortarbeitenden Volks- Phantasie auf halten; wir wollen vielmehr einer Lichtgestalt gedenken, welche der Wirklichkeit angehört. Immer noch spricht man von der Königin Luise, wobei allerdings die überraschende Wahrnehmung gemacht werden kann, wie viele Personen garnieht wissen, dass jene noch immer treu verehrte Königin die Mutter des Kaisers Wilhelm I. war. Immer noch singt das Landvolk (offenbar in verstümmelter Meise):

Wilhelm, komm an meine Seite,

Nimm den letzten Abschiedskuss ! Schlumm're sanft und ohn' Geleite,

Das Dich sanft zu Grabe führt !

Sorge nur für meine Kinder,

Lass sie christlich auferzieh'n !

Ei, das wird Dir Gott belohnen.

Und auf Dir wird Segen ruh'n !

Diesen Vorrath, den ich lasse,

Alles Gold und Silberzeug,

Nimmt gieb's in die Armenkasse!

Dazu ist sie ja bereit.

In Charlottenburg bereite,

Liebster Wilhelm, mir mein Grab,

An dem Schloss, der stillen Seite,

Wo ich manchen Kuss Dir gabt !

An dem Schloss der kleinen Wiese Setze mir mein Denkmal hin !

Schreib darauf: hier ruht Luise,

Sel'ge preusssche Königin !