Bericht über die 2. (1. Arbeite-) Sitzung des V. Vereinsjahres.
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ein lubka (Liebchen) zuzusingen. Von nnsern Soldaten lernten sie Soldatenlieder, die sie gern und herzhaft sangen, ohne den Inhalt zu verstehen, und so machte es einen komischen Eindruck, wenn sie mit grossem Ernst, ja Andacht, deutsche Lieder mehr als zweifelhaften Inhaltes sangen. Wenn ein Fremder in die Spinnstube kam, wurde ihm wohl eine Schürze umgebunden und er musste dann ein Quart Schnaps ponieren. So erging es besonders uns Unteroffizieren. Man rächte sich dann durch Wegnehmen eines Spinnrockens, der durch einen Kuss wieder eingelöst werden musste. Die Mädchen hatten aber eine wunderliche Abneigung gegen die Bärte. Dass ein besonders beliebter Aufenthalt für die Soldaten diese Spinnstuben waren, liegt auf der Hand; sie verdrängten die Burschen, die sonst des Abends kamen; doch kam es meines Wissens zu keinen Schlägereien zwischen den Wendenburschen und den Soldaten. Die Mädchen tranken sehr gern einen Kirschlikör und assen gern Mandeln und Rosinen, und wenn dies gespendet wurde, wurden sie sehr vergnügt, ja ausgelassen und waren stets zu dankbarem Kuss bereit.
Wir versuchten etwas von der wendischen Sprache uns anzueignen, doch war die Zeit zu kurz, als dass es haften blieb.
Am 11. brachen wir auf. Der sehr beschwerliche Marsch auf dem festgefrorenen Boden ging über Vetschau nach Lübbenau; hier gutes Quartier bei einem Bäcker —; dann verteilten wir uns in sieben Dörfern.
Ich kam als Korporalschaftsunteroffizier mit 15 Mann nach Görs dorf, einem Dorf inmitten eines grossen Moors mit schönen Eichen gelegen. Dort hatte ichs beim Schulzen Piesker ganz gut. Mein Bruder aber hatte es noch besser beim Pastor Winzer in Kasel. Es war dies eine höchst liebenswürdige Familie, bestehend aus dem Prediger, seiner Gattin und zwei erwachsenen Töchtern. Mein Bruder vergnügte sich vortrefflich, während ich auf dem entlegenen Dorfe mit meinen Leuten exerzieren, ihre Sachen, besonders Kleider und Schuhe, revidieren musste. Dazu kam noch der Ärger, dass bei gemeinschaftlichem Exerzieren der ganzen Kompanie meine Korporalschaft „nicht sehr gelobt“ wurde.
Ich lernte dann auch die Familie Winzer kennen, und mein Tagebuch enthält ihr begeistertes Lob.
Nun aber kam ein Brief eines Freundes aus Berlin mit der Mitteilung, dass wir am schwarzen Brett ständen als solche, die noch kein Kolleg belegt hätten; wir müssten sofort kommen, wenn wir nicht aus dein Verzeichniss der Studierenden gestrichen werden wollten. So reisten wir dann am 19. Januar ab, fuhren in „grässlichem Wagen, à la Ko- mödiantenkasten“ die Nacht durch, kamen um 9 Uhr in Berlin an, belegten jeder ein Kolleg, in das wir auch einige Male gingen, versahen uns mit frischer Wäsche, besuchten den Zirkus von Dejean (später Renz, an Steile des jetzigen Bahnhofs Friedrichstrasse), den von Renz in der Charlotten-